28.05.2018

Abgasmessung – WLTP vs. NEFZ

Sie verstehen nur Bahnhof? Das ist schlecht, denn bei den Verbrauchsnormen geht es nicht nur um Ihren Geldbeutel; in Zukunft könnten sie auch über Fahrverbote entscheiden. Wir klären auf.

War früher wirklich alles besser? Sicher nicht. Beispiel gefällig?: 1970 gab es fast siebenmal so viele tödliche Unfälle wie heute – und liegen gebliebene Autos waren ein gewohnter Anblick auf dem Pannenstreifen. Doch was die Ehrlichkeit der Hersteller und ihrer Verbrauchsangaben angeht, war früher vielleicht doch vieles besser. Ganze 41 Prozent klaffen tatsächliche Verbräuche und Prospektangaben mittlerweile auseinander. Das hat das Forschungsinstitut International Council on Clean Transportation (ICCT) für das Jahr 2017 berechnet. Vor zehn Jahren lag die Differenz noch bei 15 Prozent.

Neuer Fahrzyklus soll weniger Grauzonen haben

Prall aufgepumpte Reifen, abgeklebte Spalte und abgeklemmte Lichtmaschinen, all das kann den Spritverbrauch auf dem Rollenprüfstand senken und war bei der Abgas- und Verbrauchsmessung erlaubt oder zumindest nicht verboten. Die Hersteller haben das natürlich zu ihren Gunsten genutzt. Auch weil niemand die Grauzonen so gut kannte wie sie. Denn als es Anfang der 90er Jahre darum ging, mit dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) eine einheitliche und vergleichbare Messung zu definieren, waren sie die gefragten Experten (alle wichtigen Begriffe finden Sie im Glossar). Deshalb wurden Gesetzestexte so wachsweich formuliert, dass Fahrzeuge nur auf dem Prüfstand wirklich sauber waren. Im realen Straßenverkehr funktionierte dagegen die Abgasreinigung oft nicht. Beispielsweise immer dann, wenn es „zu kalt“ war. Zu kalt war es aber in Deutschland häufig, einzelne Hersteller betrachteten nämlich Temperaturen unter 10 Grad schon als zu kalt.

Wie absurd die Vorgaben waren, zeigt sich besonders gut am Beispiel Stickoxide (NOX): Euro-5-Fahrzeuge stoßen im Schnitt deutlich mehr Stickoxide aus als Fahrzeuge der Vorgängergeneration Euro 4, das hat das Umweltbundesamt berechnet. Die Gesetze zur Luftreinhaltung hatten also bewirkt, dass entsprechende Fahrzeuge bis heute mehr Abgase ausstoßen als ihre Vorgänger. Doch mit den Tricksereien soll bald Schluss sein. 2017 war das letzte Jahr, in dem neu konstruierte Fahrzeuge nach NEFZ geprüft und zugelassen werden durften. Seit September 2017 müssen alle neuen Fahrzeugmodelle, zwei Jahre später dann wirklich alle Neuwagen das neue, weltweit einheitliche Testverfahren WLTP absolvieren – inklusive Prüfung auf öffentlichen Straßen. Ziel ist es, den Raum für Tricksereien möglichst einzuschränken und darüber hinaus dem Käufer eine realistischere Verbrauchsangabe an die Hand zu geben.

NEFZ nicht für Verbrauchsangaben geeignet

Denn mehrfach hatte auch der ACE die Stimme erhoben: Die von uns getesteten Fahrzeuge verbrauchten auch bei sanfter Gangart wesentlich mehr als laut Prospekt angegeben: Der NEFZ war schlicht kein geeignetes Mittel für die Ermittlung eines realistischen Verbrauchs. Doch die Kritik von ACE und anderen Verbraucherschutzorganen verpuffte, der Verband der Automobilindustrie (VDA) und die EU saßen sie einfach aus. Erst mit dem Diesel- und Abgasskandal kam wieder Schwung in die Diskussion. Mitte 2016 sah sich die EU gezwungen zu handeln. Als Resultat wird der WLTP ab 2017 Schritt für Schritt eingeführt.

Ab September gilt zunächst für jedes Neufahrzeug die Abgasnorm Euro 6c. Bei ihr ersetzt der neue Fahrzyklus WLTC die bisherige NEFZ-Prüfung. Das heißt: Wie bisher wird dafür zunächst der für ein Auto spezifische Rollwiderstand ermittelt, danach fährt ein Techniker auf einem Rollenprüfstand ein bestimmtes Profil nach: beschleunigt und bremst also nach einem genau vorgegebenen zeitlichen Verlauf. Dieses Profil ist zwar etwas anspruchsvoller als bisher, doch noch immer kann die Prüfung auf der Rolle eine Fahrt auf der Straße nicht ersetzen. Pflicht ist diese RDE-Fahrt (Real Driving Emissions) für neu zugelassene Fahrzeuge jedoch erst ab September 2019. Denn erst dann kommt Euro 6d-TEMP zum Tragen.

Mit dem Audi A4 auf Messrunde

Um das neue Messprozedere zu verstehen, haben wir uns dieses an unserem Dauertestwagen Audi A4 genau angeschaut. Zwar hat der Audi seine Typgenehmigung bereits im Dezember 2016 erhalten, trotzdem wollten wir wissen, ob er eventuell auch striktere Abgasnormen erfüllen würde. Gemeinsam mit Technikern des Kraftfahrtechnischen Prüf- und Ingenieurzentrums Fakt sind wir deshalb mit dem A4-Kombi auf Testfahrt gegangen. Die Abgase haben wir dabei mit einem mobilen Emissionsmessgerät (PEMS) gemessen. Dieses Gerät misst sowohl Partikelanzahl als auch Stickoxide und CO2, muss dafür vor jeder Fahrt entsprechend kalibriert werden. Hier wird klar: Die RDE-Messung ist ein nicht triviales technisches Verfahren. Das heißt auch: Von Privatpersonen kann nicht einfach eine PEMS-Box ausgeliehen und eine Verbrauchsmessung nachgefahren werden. Wichtig wäre das aber, um beispielsweise vor Gericht nachzuweisen, dass das Fahrzeug mehr verbraucht, als im Prospekt angegeben.

Mit der Testfahrt beginnen wir in Memmingen. Mehrere Runden drehen wir durch die süddeutsche Stadt. Insgesamt stehen nach einer knappen Stunde und vielen Ampelphasen knapp 30 Kilometer auf dem Tacho. Die Start-Stopp-Automatik bleibt aktiv, greift dabei auch häufig ein. Aber das Fahrzeug darf beispielsweise nie länger als 180 Sekunden stehen, sonst muss die Testfahrt neu begonnen werden. Danach fahren wir noch etwa 20 Minuten ohne größere Unterbrechungen auf Landstraßen im Memminger Umland. Für uns etwas ungewohnt, beträgt das Tempo maximal 90 km/h; der WLTP ist eben ein globaler Fahrzyklus und außerhalb Deutschlands darf auf Landstraßen meist höchstens 90 km/h gefahren werden.

Als letzte Etappe geht es auf die Autobahn. Wieder schränkt uns ein globaler Kompromiss ein: die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 145 km/h, beim Überholen dürfen wir kurzzeitig auch 160 km/h fahren. Auch das ist nachvollziehbar, da weltweit fast überall Tempolimits die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen einschränken. Wieder im Prüflabor von Fakt werten wir die Messergebnisse gemeinsam aus. Für uns etwas überraschend: Die Werte sind niedriger als erwartet, mit 134 mg/km NOX würde der Audi sogar die Vorgaben für die strengere Norm Euro 6d-TEMP erfüllen. Allerdings ist eine Messfahrt dafür zu wenig: Wir waren an einem Frühsommertag bei 22 Grad unterwegs. Möglicherweise sieht das Abgasverhalten anders aus, wenn es kälter ist. Außerdem sind wir mit warmem Motor gestartet. Erst ein späteres RDE-Messverfahren sieht auch Kaltstarts vor. Doch die Umwelthilfe bestätigt unsere Werte – sie kam im RDE-Test eines A4 Avant sogar auf noch niedrigere 119 mg/km NOX. Von aktuell diskutierten Fahrverboten wäre der Audi dann wohl ausgenommen, zumindest wenn er nachträglich umgeschlüsselt werden kann.

Achtung beim Neukauf

Stichwort Fahrverbote: Wer jetzt vor dem Neu- oder Gebrauchtkauf eines Autos steht, sollte sich genau überlegen, für welche Motorisierung und damit auch welche Abgasnorm er sich entscheidet. Denn bis Ende August dürfen grundsätzlich noch Neufahrzeuge mit der Abgasnorm Euro 6b verkauft werden. Gleichzeitig gibt es aber auch schon Fahrzeuge mit Euro 6c, 6d-TEMP und ganz wenige, die theoretisch Euro 6d erfüllen würden.

Nach Einschätzung des ACE werden sich mögliche Fahrverbote vorwiegend auf Dieselfahrzeuge und Benziner mit Direkteinspritzung auswirken. Wie saubere Fahrzeuge gekennzeichnet werden können, ist allerdings noch immer offen. In der Diskussion ist die blaue Plakette für Diesel ab Euro 6d-TEMP, Benziner mit Direkteinspritzung ab Euro 6c sowie Benziner ohne Direkteinspritzung ab Euro 3. Euro 6 ist also nicht gleich Euro 6. Beim Kauf ist äußerste Vorsicht geboten, denn in diesem Fall wären auch neue Euro-6c-Diesel ausgeschlossen, die ab September grundsätzlich noch verkauft werden dürfen.

Anti-Fahrverbots-Garantien der Hersteller sind dagegen Augenwischerei und an Bedingungen geknüpft: Die Innenstadt-Garantie von Nissan greift beispielsweise nur dann, wenn innerhalb von 100 Kilometern vom Wohnort ein Fahrverbot für mindestens 30 Tage pro Jahr gilt. Viel gravierender aber: Nissan kauft das Fahrzeug nicht nach dem Neupreis zurück, sondern nach dem Zeitwert. Und dieser wird bei einem Fahrverbot wohl drastisch sinken. Das Tricksen haben die Hersteller offensichtlich also nicht verlernt.

Technikglossar – das steckt hinter den Kürzeln (pdf)