Von den Bosch-Enthüllungen bis zum EuGH-Urteil
Neben der EuGH-Entscheidung stärken auch die Ende letzten Jahres veröffentlichten Dokumente des Autozulieferers Bosch die Position von Autokäuferinnen und -käufern. Aus ihnen geht hervor, dass die deutsche Automobilindustrie bereits 2006 Software zur Manipulation der Abgaswerte in Auftrag gegeben hat. Seit diesen Enthüllungen ist nicht nur klar, dass die Automobilhersteller vorsätzlich gehandelt haben, sondern auch, dass neben VW und Audi u. a. auch Mercedes und BMW am Abgasskandal beteiligt sind. Für Verbraucherinnen und Verbraucher steigen damit die Chancen auf Schadensersatz deutlich.
Europäischer Gerichtshof macht sich für Verbrauchende stark
Besitzerinnen und Besitzer eines betroffenen Dieselfahrzeugs mussten bislang eine Betrugsabsicht des Herstellers nachweisen, um Schadensersatzansprüche geltend machen zu können. In der Praxis war es Autokäuferinnen und -käufern kaum möglich, vorsätzliches Handeln seitens der Hersteller nachzuweisen. Auch der Bundesgerichtshof (BGH) lehnte bislang die Haftung der Hersteller ab, solange diese nur auf Fahrlässigkeit beruhte. Das ändert sich mit dem heutigen EuGH-Urteil: Ab sofort genügt für Schadensersatzansprüche nun fahrlässiges Handeln seitens der Hersteller.
In Bezug auf Thermofenster stellte der EuGH klar, dass bereits die Unsicherheit des Käufers oder der Käuferin aufgrund der Möglichkeit des Widerrufs der Typengenehmigung einen Schadensersatzanspruch rechtfertigt. Mittels entsprechender Software wird das Thermofenster derart manipuliert, dass die Abgasreduktion lediglich in einem bestimmten Temperaturfenster aktiv ist. Diese Manipulation ist zumindest dann rechtswidrig, wenn die Abgasreinigung im überwiegenden Teil eines Jahres nicht aktiv ist, so dass die eigentliche Ausnahme zur Regel wird. Zudem ist die Ausnahme von der Abgasreinigung nur dann zulässig, wenn diese zu Motorschutzzwecken mangels anderer Technik nötig ist.
Hersteller im Detail
Entgegen den Erklärungen, die die Automobilkonzerne bisher in den Verhandlungen vorgebracht haben, ist nun dank der Bosch-Dokumente klar, dass sie wussten, dass der Einsatz von Abschalteinrichtungen illegal ist. Die rechtlichen Folgen der Bosch-Enthüllungen wirken sich auf Diesel und Benziner gleichermaßen aus. Für betroffene Verbraucherinnen und Verbraucher steigen damit die Chancen mittels einer Individualklage Schadensersatz geltend zu machen. Wurde bereits ein Urteil gefällt, ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens nur bei Prozessbetrug, also wenn vorsätzlich falsche Aussagen vorgetragen wurden, denkbar. Für die einzelnen Automarken bedeutet das konkret:
- Fiat: Bisher war es für Wohnmobilisten und -mobilistinnen mit Fiat-Aufbau schwer, Schadensersatz zu fordern. Nun ist klar, dass der Autobauer mehrere Abschalteinrichtungen bei Bosch in Auftrag gegeben hat. Neu ist, dass auch Motoren mit AdBlue betroffen sind. Für Besitzerinnen und Besitzer eines Fiats ist es nun leichter, ihre Schadensersatzforderungen geltend zu machen.
- Mercedes: Inzwischen ist klar, dass Mercedes seine Kunden und Kundinnen bewusst getäuscht hat. Ein bestreiten der Vorwürfe wie bisher, wird damit für den Stuttgarter Autobauer vor Gericht schier unmöglich. Die Chancen auf Schadensersatz steigen für Daimler-Kunden und Kundinnen nun erheblich. Die Enthüllungen werden auch die Beweisführung im Rahmen der Musterfeststellungsklage stärken, die die Verbraucherschutz Bundeszentrale (vzbv) gegen Mercedes anführt. Eine Teilnahme an dieser Musterfeststellungsklage ist leider nicht mehr möglich. Halterinnen und Halter entsprechender Mercedes-Fahrzeuge müssten im Rahmen einer Individualklage gegen den Hersteller bzw. Verkäufer vorgehen.
- Volkswagen: Der Wolfsburger Konzern ist vom Bundesgerichtshof bereits verurteilt worden, allerdings nur für den Motor EA 189. Nun belegen die Unterlagen auch Manipulationen an neueren Motoren wie dem EA 288. Wer ein Auto mit einem solchen Motor fährt, kann sehr wahrscheinlich auf eine Verurteilung und Schadensersatz hoffen. Bereits verhandelte Verfahren sind allerdings abgeschlossen.
- Opel: Auch Opel hat nachweislich illegale Abschaltsoftware bei Bosch bestellt. Damit steigen die Erfolgschancen vor Gericht in Sachen Schadensersatz erheblich.
- BMW: Der BMW-Konzern wird anhand der Dokumente nicht länger bestreiten können, illegale Abschalteinrichtungen in seinen Autos verbaut zu haben. Die Bosch-Enthüllungen stärken die Position von betroffenen Verbraucherinnen und Verbrauchern deutlich.
Droht jetzt die Stilllegung?
Der Europäische Gerichtshof hat in mehreren Urteilen bereits festgestellt, dass die verbauten Abschalteinrichtungen illegal sind. In letzter Konsequenz würde das aber auch bedeuten, dass betroffene Fahrzeuge illegal sind und nicht über eine legale Zulassung verfügen. Ihnen droht theoretisch die Stilllegung, wenn die Hersteller die Fahrzeuge nicht in einen legalen Zustand versetzen können. In diesem Zusammenhang ist abzuwarten, wie der Bundesgerichtshof (BGH) voraussichtlich am 8. Mai 2023 in einem weiteren anhängigen Verfahren – diesmal zur Typengenehmigung eines Dieselfahrzeugs und der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht – entscheiden wird.
Was Verbraucherinnen und Verbraucher jetzt tun können
Wer u. a. einen Fiat, Mercedes, VW, Opel oder BMW im Jahr 2013 oder später gekauft hat, sollte sich anwaltliche Unterstützung suchen, um etwaige Ansprüche ermitteln zu können. Wurde der Kaufvertrag schon vor mehr als zehn Jahren geschlossen, wird es schwierig, Ansprüche geltend zu machen, da diese spätestens mit Ablauf des 31.12.2023 verjähren. Umso wichtiger ist es, bei Verdacht auf illegale Abschalteinrichtungen den Sachverhalt individuell von einem Experten oder einer Expertin prüfen zu lassen. Eine juristische Ersteinschätzung ist für ACE-Mitglieder bei einem ACE-Vertrauensanwalt oder einer ACE-Vertrauensanwältin mit keinerlei Kosten verbunden. Die Erfolgsaussichten für eine Individualklage vor Gericht sind dank der Bosch-Enthüllungen sowie der jüngsten EuGH-Entscheidung enorm gestiegen, so dass die gravierenden finanziellen Einbußen, mit denen Geschädigte konfrontiert wurden, ausgeglichen werden.