Er war eine piccola macchina, wie sie nur der in Italien bis heute verehrte Fiat-Konstrukteur Dante Giacosa auf die Räder stellen konnte. Gerade einmal 2,97 Meter lang, wirkte der am 4. Juli 1957 präsentierte Fiat 500 Nuova perfekt proportioniert für die engen Gassen italienischer Altstädte. Vor allem aber gab er sich mit seinen rundlichen Formen niedlich wie ein Mäuschen, das durch zwei große runde Hauptscheinwerfer neugierig die Welt erkundet. Klar, dass der Volksmund diese Zweizylinder-Knutschkugel irgendwann Topolino nannte, zumal schon der Vorgänger-Cinquecento (500) von 1936 den Kosenamen Mäuschen trug. Während aber dieses Vorkriegs-Volksauto von Fiat mit innovativer Technik alle Herzen und Straßen im Sturm eroberte, verlief der Start des ersten Heckmotor-Fiat im Jahr 1957 schleppend.
Die Rolle des Nachkriegs-Volkswagens besetzte nämlich bereits der etwas größere Fiat 600. Zum König unter den Kleinsten der Kleinen avancierte der Fiat 500 erst in Lifestyleversionen, die sogar Staatsführer wie Winston Churchill oder Milliardäre wie Aristoteles Onassis nutzten. Wie kein anderes Großserienfahrzeug wurde der bis 1975 in 3,7 Millionen Einheiten gebaute Cinquecento nun weltweiter Botschafter für sein Mutterland. Unvergänglich schöne Formen, Familiensinn, kompakte Abmessungen und kleine Preise, aber auch „dolce vita“, das süße Leben mit Sonnengarantie: All dies verkörperte das Mäuschen durch vier Sitze, großes Rolldach und Sonderserien wie Mickey und Minnie (Mouse) von Vignale.
Als Motorroller mit Dach geplant und zum Lifestyle Miniauto avanciert
Ein echtes Weltauto wie der konzeptionell vergleichbare und auf mehreren Kontinenten gebaute Fiat 600 wurde der Cinquecento trotzdem nicht, denn dazu war er zu winzig. Tatsächlich sollte das, unter dem Code Projekt 110 entwickelte Kleinstmobil anfangs nicht mehr sein als ein Motorroller mit Dach und vier Sitzen, also den in Europa populären Kabinenrollern entsprechen. Wie Fiat-Chefkonstrukteur Dante Giacosa in seinen Memoiren schreibt, schickte ihm Fiat Deutschland dazu Konstruktionszeichnungen für einen Kleinstwagen mit Fronttür im Stil der BMW Isetta und 1954 einen Prototyp, dessen Produktion für Auslastung im Werk Weinsberg sorgen sollte. Auch wenn der spätere Fiat 500 dem Design des Prototypen nicht ganz unähnlich wirkte, legte Giacosa Wert darauf, ein vollwertiges Auto mit konventionellen Türen anzubieten. So entschied er sich auch gegen die damals verbreiteten 250-ccm-Einzylinder, sondern wählte einen robusten, luftgekühlten 0,5-Liter-Zweizylinder, der vollgasfest war und den 470 Kilogramm leichten Kleinen auf Tempo 85 brachte. Vielleicht lag es an der diffamierenden Enthüllungskampagne italienischer Kommunisten, die kurz vor dem Debüt des Fiat 500 in der Presse Zeichnungen eines für alle bezahlbaren Kleinstwagens veröffentlichten, den Fiat angeblich nicht bauen wollte. Jedenfalls fiel die Premierenfeier für den damals weltweit kleinsten vollwertigen Viersitzer mit konventionellen Seitentüren ungewöhnlich pompös aus. Die ganze Nation nahm damals via Fernsehen an der Geburt der automobilen Maus teil, die am Fließband begann. Von diesem „Kreißsaal“ fuhr eine fast endlos lange Parade fröhlich-frecher Fiat 500 durch das festlich geschmückte Turin, wo Hundertausende dem familientauglichen Viersitzer mit riesigem Rolldach frenetisch zujubelten.
Aller Anfang war schwer für den Fiat 500
Amerika hatte das pragmatische Ford T-Modell und Deutschland den rundlichen VW Käfer – nur in Italien gab es gleich zwei Volkswagen von einer Marke. Den Vierzylinder-Kleinwagen Fiat 600 und den kaum günstigeren Zweizylinder-Knirps Fiat 500. Was tun, um die enttäuschenden Verkaufszahlen des Nuova Cinquecento zu beflügeln? Aus der „povera macchina“, einem armseligen Auto – anfangs sogar ohne seitliche Kurbelfenster – formte Fiat einen klassenlosen Lifestylestar, mit dem sich alle Italiener gerne zeigten. Zuerst gab es eigenständige Derivate des Cinquecento, die bei der Fiat-Tochter Autobianchi in Serie gingen. Den Auftakt bildete 1957 die Bianchina Transformidable als Coupé mit Rolldach, es folgten Cabriolet, Limousine Bianchina und zwei Kombis. Letztere basierten auf dem erfolgreichen Fiat 500 Giardiniera mit Unterflurmotor, der die vom Topolino begründete Tradition kleiner Familienkombis weiterführte. Den kleinen Leistungshunger befriedigten ab Herbst 1957 der Fiat 500 Normale mit 11 kW/15 PS und ein Jahr später der 500 Sport mit 16 kW/21,5 PS für 110 km/h. Eine weiße Lackierung mit roten Seitenstreifen kündete optisch von dieser Kraftkur – und vom ersten Motorsporterfolg beim 12-Stunden-Rennen auf dem Hockenheimring. Dort belegte der 500 Sport auf Anhieb die ersten vier Plätze seiner Klasse.
Der Cinquecento lernt das „Rennen“
Im Jahr 1960 wurden dann in der Basis, dem Fiat 500 D, 13 kW/18 PS Standard. Genug für Tempo 100 nach 90 Sekunden Anlauf und den Durchbruch in Deutschland, denn hier avancierte das Mäuschen zum „besten Freund von Hausfrauen und Fahranfängern“, wie die Presse schrieb. Eine deutliche Veränderung erfuhr das Karosseriekonzept vier Jahre später: Mit dem Fiat 500 F verabschiedete sich der Cinquecento von den inzwischen politisch geächteten sogenannten „Selbstmörder“-Türen, die bequemen Zugang in den Fond gewährten. Karossiers wie Ghia, Giannini, Lombardi, Moretti, Vignale, Viotti, Zagato, Erina, Fervès und Weinsberg verblüfften das Publikum derweil mit immer neuen Designideen und zogen auch die Schönen und Reichen in den Fanclub des Mäuschens. So gab es die Cinquecento als schnelle Coupés, extravagante Cabriolets, offene Strandwagen, elegante Limousinen und Limousette sowie mit weiteren Antriebskonzepten wie Frontmotor und Frontantrieb (Moretti 500), Batterien (Giannini Elettrica) oder Allradantrieb (Fervès 500 mit zuschaltbarem Vorderradantrieb) – und den Hochleistungsmotoren von Steyr-Puch und Carlo Abarth. Die österreichische Marke Steyr-Puch ersetzte den serienmäßigen Reihen-Zweizylinder durch einen Zweizylinder-Boxer mit 0,65 Liter, später 0,66 Liter Hubraum und 15 kW/20 PS bis 29 kW/40 PS Leistung.
Als Steyr-Puch 650 TR brachte es der Kraftzwerg sogar zu Klassensiegen bei der Rallye Monte Carlo. Ähnlich viel Leistung boten die Rekordwagen und Straßenüberflieger des Carlo Abarth, die als Fiat-Abarth 595 SS und 695 SS bis zu 23 kW/32 PS und 28 kW/38 PS freisetzten – genug für eine Vmax von 140 km/h. Fast dreißig Jahre wurde der Nuova Fiat 500 produziert, dann versuchten mehrere Nachfolger wie der bereits 1972 eingeführte Fiat 126 und der 1991 lancierte kantige Cinquecento das Erbe des Kultmobils anzutreten – erfolglos. Allein der tierisch niedliche Fiat Nuova 500 überlebte alle staatlichen Abwrackaktionen, erhielt Sonderfahrrechte in Umweltzonen und diesem automobilen Denkmal schlägt überall uneingeschränkte Sympathie entgegen. Umso erstaunlicher, dass Fiat die italienische Lebensfreude des 57er Cinqecento auf den 2007 enthüllten Cinquecento im Retrostil transferieren konnte. Bleibt abzuwarten, ob dieser äußerlich groß gewordene Kleine eines Tages auch den Kultstatus des Originals erben wird.
Modellhistorie Fiat 500:
Chronik:
- 1934: Entwicklungsbeginn für den ersten Fiat Kleinwagen aus dem Werk Lingotto
- 1936: Am 15. Juni debütiert der unter Dante Giacosa entwickelte Fiat 500 Topolino als Serienversion des Prototypen Zero A
- 1939: Erste neue Kleinwagenstudie unter dem Codenamen „400“
- 1948: Einführung des Fiat 500 Topolino B mit mehr Leistung und Kombiversion Giardiniera Belvedere
- 1949: Vorstellung des 500 Topolino C mit modifizierter Karosserie
- 1953: Fiat Deutschland schickt Konstruktionszeichnungen sowie einen fertigen Prototypen für einen möglichen Kleinstwagen nach Turin. Dieses von einem Techniker namens Bauhof entwickelte Fahrzeug wird von Dante Giacosa wohlwollend geprüft, aber wegen des Fronttürenkonzepts und eines zu klein dimensionierten Einzylinder-Motors abgelehnt. Stattdessen wird der neue Fiat unter dem Entwicklungscode „100“, später „110“ finalisiert, dies mit 13 PS leistendem 0,5-Liter-Reihen-Zweizylinder, der sich mit 4,5 Liter Benzin auf 100 Kilometer bescheiden sollte
- 1954: Im August wird das Design für den künftigen Kleinstwagen anhand des Prototypen 110–518 definiert
- 1955: Produktionsauslauf für den Fiat 500 Topolino C. Nachfolger wird der am 30. Juni vorgestellte Fiat 600, der im Folgejahr in Großserie geht. Die Motorenentwicklung für den Fiat 500 geht in die Endphase, von Beginn an wird die Entwicklung mehrerer luxuriöser Autobianchi-Versionen verfolgt. Der Bianchina wird konzipiert als Coupé, Cabriolet und Kombi
- 1956: Das neue Kleinwagen-Projekt läuft jetzt unter dem Codenamen „400“
- 1957: Am 4. Juli wird der Nuova 500 im mondänen Sporting Club von Turin präsentiert mit Live-Übertragung des staatlichen Fernsehsenders RAI und Probefahrt durch den italienischen Ministerpräsidenten. Am 5. Juli fährt ein Konvoi mit 120 Nuova Cinquecento durch Turin. Im Herbst wird der Fiat 500 Normale mit 11 kW/15 PS Leistung und vorderen Kurbelfenstern eingeführt
- 1958: Ein 19 kW/26 PS leistender Fiat 500 Abarth erzielt im Februar einen Langstreckenrekord in siebentägiger Dauerfahrt. Italienischer Tourenwagenmeister wird ein 500 Abarth Zagato. Debüt von Fiat 500 Sport mit 16 kW/21,5 PS-Motor und von leistungsgesteigerten Fiat 500 Abarth
- 1960: Einführung von Fiat 500 D mit 13 kW/18 PS Leistung und Präsentation der Kombiversion 500 Giardiniera mit Unterflurmotor
- 1965: Mit dem überarbeiteten Fiat 500 F verabschiedet sich der Cinquecento im März von den sogenannten Selbstmördertüren. Nur die Kombiversion 500 Giardiniera hält an diesen hinten angeschlagenen Türen fest und wird deshalb nur bis 1966 als Autobianchi in Deutschland verkauft
- 1968: Im September erfolgt die Einführung des 500 L mit Chromapplikationen
- 1972: Zeitgleich mit der Einführung des designierten Nachfolgers, des Fiat 126, erfährt der 500 im November letzte technische Modifikationen und trägt nun die Bezeichnung 500 R mit 0,6-Liter-Hubraum und 13 kW/18 PS Leistung. Der 500 R wird populäres Behördenfahrzeug in Italien bei Polizei, Feuerwehr und Rotem Kreuz
- 1975: Produktionsauslauf für den Fiat 500
- 1977: Einstellung der Kombiversionen des Fiat 500
- 1991: Im Dezember feiert ein neuer Cinquecento Weltpremiere, die Markteinführung in Deutschland erfolgt im März 1993. Allein mit knappen Abmessungen von 3,23 Länge erinnert der kantige Neue an seine namensgleichen Vorgänger
- 2004: Der Fiat 500 Nuova erhält in Italien eine Sondergenehmigung für das Befahren von Umweltzonen auch ohne Katalysator. Auf dem Genfer Salon debütiert das Concept Car Trepiùno als möglicher Nachfolger des Cinquecento. Ein Jahr später wird das Projekt eingestellt
- 2007: Am 4. Juli, genau 50 Jahre nach der Vorstellung des Nuova 500, wird ein neuer Cinquecento im Retrostil in Turin vorgestellt. Zugleich stellt Fiat fest, dass jeder sechste jemals gebaute Fiat 500 Nuova noch zugelassen ist – Weltrekord für ein vor 50 Jahren vorgestelltes Massenmodell in Millionenauflage
- 2017: Der Nuova 500 wird 60 Jahre alt und der Cinquecento von 2007 feiert seinen zehnten Geburtstag mit einer ganzen Modellfamilie im Retrodesign
Technische Daten Fiat 500 Nuova
Kleinstwagen mit Heckmotor; Länge: 2,95 bis 2,97 Meter, Breite: 1,32 Meter, Höhe: 1,26 bis 1,35 Meter, Radstand: 1,84 Meter, Kofferraumvolumen: 30 bis 270 Liter;
0,5-Liter-Zweizylinder-Benziner, 4-Gang-Getriebe, 10 kW/13 PS bzw. 11 kW/15 PS bzw. 13 kW/18 PS, max Drehmoment 31 Nm bei 2.200 bis 2.500/min, 0–100 km/h 90,0 s (18 PS-Version), Vmax: 85 bzw. 95 bzw. 100 km/h, Normverbrauch: 4,5 bzw. 5,5 bzw. 4,9 Liter Benzin; 0,6-Liter-Zweizylinder-Benziner, 4-Gang-Getriebe, 13 kW/18 PS, max Drehmoment 36 Nm bei 2.800/min, 0–100 km/h 90,0 s, Vmax: 100 km/h, Normverbrauch: 5,5 Liter Benzin.
Produktionszahlen
Fiat 500 insgesamt (1936–1975): Über 4,2 Millionen Einheiten, davon rund 516.000 Einheiten des Fiat 500 Topolino (1936–1955) und 3,7 Millionen Einheiten des Fiat 500 (1957–1975).
Fiat 500 Giardiniera (1960–1977): 327.000 Einheiten.
Ausgewählte Preise
- Fiat Nuova 500 (1957) ab 2.950 Mark
- Fiat Nuova 500 Cabrio Limousine (1958) ab 2.890 Mark
- Fiat Nuova 500 Cabrio Luxus (1958) ab 3.250 Mark
- Fiat 500 D (1960) ab 3.060 Mark
- Fiat 500 Giardiniera (1961) ab 3.750 Mark
- Fiat 500 D Luxus (1964) ab 3.190 Mark
- Fiat 500 D Familiare (1964) ab 3.850 Mark
- Fiat 500 F Luxus (1967) ab 3.390 Mark
- Fiat 500 F (1969) ab 3.419 Mark
- Fiat 500 F (1970) ab 3.600 Mark
- Fiat 500 Luxus (1970) ab 3.850 Mark
- Fiat 500 F (1972) ab 3.990 Mark
- Fiat 500 R (1973) ab 4.390 Mark