„Hey, fährst du mich nach Berlin ins `Hotel Hauptstadt`?“ Wer heute ins Auto steigt, muss meist nicht mehr lange Fummeln, sondern spricht mit dem Navigationssystem wie mit einem Freund.
Freundliche Worte statt "Krieg der Knöpfe"
Und mit ein bisschen Glück stellt der auch gleich die Wunschtemperatur ein, macht das Fenster auf oder zu und spielt die bevorzugte Musik – und das alles, ohne eine einzige Taste zu drücken.
Denn der „Krieg der Knöpfe“ im Auto ist längst vorbei und die Sprachsteuerung neben dem Touchscreen zu einem der wichtigsten Bediensysteme im Wagen aufgestiegen.
Mercedes war mit "Linguatronic" Pionier
Das war nicht immer so. Denn als Mercedes vor über 20 Jahren die Technik als „Linguatronic“ als erster eingeführt hat, war das noch ein schwieriges Gestammel.
Aller Anfang war schwer
Und selbst wenn sich vieles verbessert hat über die Zeit, konnte von freiem Sprechen lange nicht die Rede sein: „Navigation!“, „Zieleingabe!“, „Berlin! Unter den Linden!“ Wer sein Auto mit der Sprache steuern wollte, fühlte sich bisweilen wie auf dem Kasernenhof oder noch schlimmer wie ein Außerirdischer vor einer Schar von Grundschülern.
Denn der Dialog zwischen Mensch und Maschine war ausgesprochen holprig, geprägt von Missverständnissen und deshalb meist so frustrierend, dass man lieber den Mund gehalten und doch wieder an Tasten und Touchscreen gefummelt hat. Kaum ein anderes Feature im Fahrzeug wurde deshalb so stiefmütterlich behandelt wie Sprachsteuerung.
Viele Funktionen sind zu komplex für Touchscreens und Gestensteuerung
Doch weil der Funktionsumfang der Autos im Allgemeinen und jener der Infotainmentsysteme im Besonderen ins schier unermessliche wächst, Schalter aber irgendwie altmodisch aussehen, sich die Insassen schon jetzt in den Menüs auf den Touchscreens verlieren und sich die Gestensteuerung nach Einschätzung vieler Experten wohl nur auf ganz wenige Kommandos beschränken wird, haben Entwickler und Ergonomen notgedrungen das Schweigen gebrochen und die Sprache mittlerweile ganz nach oben auf ihre Agenda gesetzt.
Das Nutzerverhalten ist vom Smartphone geprägt
„Die Sprachsteuerung ist eines der Konzepte, mit dem wir auch komplexe Systeme im Fahrzeug einfach und unkompliziert bedienen können,“ heißt es beim Zulieferer Continental. Zwar kann es für die Spezialisten nie nur eine alleinige Lösung geben, weshalb sie auf absehbare Zeit auch ein paar Tasten noch die Treue halten. Doch mit deutlich verbesserter Technik und einem von den Smartphones veränderten Verhaltensmuster bei den Nutzern werde das gesprochene Wort im Fahrzeug in Zukunft deutlich mehr Gewicht bekommen.
Die Technik wird immer ausgereifter
Dabei arbeitet die Branche zweigleisig: Zum einen haben die Hersteller ihre eigenen Sprachbediensysteme verständlicher gestaltet, das Vokabular vergrößert und die auswendig gelernten Befehle abgeschafft. Stattdessen ist der Fahrer mit dem Auto auf Du und Du und oft reicht schon der Hinweis „Mir ist kalt “ oder „Ich habe Hunger“ und der Wagen ändert das Klima oder schlägt naheliegende Restaurants vor.
Die Systeme lernen Vokabeln
Die Zauberworte dafür heißen „natürlichsprachliche Eingabe“: Als die Sprachsteuerung vor 25 Jahren ihren Einstand gab, konnte sie vielleicht 20 Vokabeln. Zehn Jahre später waren es 50.000 bis 70.000 und heute sind es mehrere Millionen. Wenn man bedenkt, dass der durchschnittliche Deutsche mit einem aktiven Wortschatz von 4.000 Vokabeln durch den Tag kommt, kann man da wohl von schon von flüssiger Sprache reden.
Deshalb muss sich bei solchen Systemen niemand mehr durch Kommandozeilen und Befehlsketten hangeln, sondern spricht einen vergleichsweise normalen Monolog und das Auto pickt sich die die entsprechenden Schlüsselworte heraus.
Stabile Online-Verbindung ist Bedingung
„Nicht der Mensch, sondern die Technik muss Vokabeln lernen, wenn das System erfolgreich sein soll“, sagt ein Entwickler. Die Intelligenz dafür steckt dann allerdings nicht mehr im Auto sondern auf den Servern und es braucht eine stabile Online-Verbindung für eine verständige Unterhaltung.
Aus dem Auto das Smart Home steuern
Parallel dazu integrieren die Autohersteller allerdings auch externe Sprachsteuerungen: So gibt es immer mehr Autos, in denen die Sprachassistenten von Google und Apple ihren Platz haben und Amazons Alexa zum digitalen Beifahrer wird. Dann kann man nicht nur Anrufe mit Sprachsteuerung tätigen, Navigationsziele eingeben oder Nachrichten diktieren, sondern daheim in seiner smarten Wohnung die Jalousien öffnen oder die Vorräte im Kühlschrank überprüfen kann.
Die Sprachassistenten reden mit und beweisen Humor
Dafür braucht es mittlerweile nicht einmal mehr Codeworte wie „Hey Mercedes“ oder ähnliches. Weil Big Sister ständig mithört, schaltet sie sich automatisch ins Geplapper ein, wenn sie glaubt, ihren Senf dazu geben zu müssen. Und sie belässt es auch nicht mehr bei reinen Fahrzeugfunktionen: Wie Siri & Co beantwortet sie Fragen nach dem Wetter oder gibt Hinweise zu den Zielen und kann mittlerweile sogar Witze erzählen. Selbst vermeintlich spaßbefreite Ingenieure deutscher Autohersteller entwickeln dabei einen gewissen Humor. Wer „Hey Mercedes“ fragt, was sie von BMW hält, bekommt ein kesses „offenbar das gleiche wie du, sonst säßen wir nicht hier“ zu hören. Und wer seinem Sozius erschrecken will, kann sogar akkustich den Schleudersitz aktivieren und die Sprachsteuerung startet brav den Countdown, den sie erst kurz vor der Zündung mit „War nur ein Spaß“ wieder abbricht.
Assistenzsysteme als empathische Begleiter
Das hat durchaus einen ernsten Hintersinn. Denn mittelfristig will die Sprachsteuerung auch Stimmungen erkennen und beeinflussen und macht zum Beispiel im chinesischen Ora Funky Cat damit den Anfang. Aus Wortwahl und Tonfall schließt die Elektronik dort auf die Gefühlslage und steuert mit entsprechend Musik, mit Klima und Beleuchtung und mit gezielter Ansprache im Zweifelsfall dagegen.
Virtueller Beifahrer mit treuherzigem Blick
Dass es von dort bis zum virtuellen Beifahrer nicht mehr weit ist, sieht man beim chinesischen Konkurrenten Nio, wo die Sprachsteuerung buchstäblich ein Gesicht bekommen hat: Statt nur aus dem Bildschirm zu plappern, thront deren digitaler Begleiter als Knubbel auf dem Armaturenbrett, blickt den Fahrer aus großen Glubschaugen an und übt sich damit in einer Disziplin, die Siri & Co bislang noch nicht beherrschen – der nonverbalen Kommunikation.