Er war angetreten, um das Ruder herum zu reißen, doch dann ging das Debakel erst richtig los. Volkswagens US-Chef Michael Horn wirft mit sofortiger Wirkung das Handtuch – keine sechs Monate, nachdem der Abgas-Skandal ins Rollen kam.
Der Rücktritt kommt unerwartet, zumindest mit Blick auf den Zeitpunkt. VW verliert einen Mann des Vertriebs, der die zur Krisenbewältigung wichtigen Vertragshändler im Rücken hatte. Sein Nachfolger Hinrich Woebcken steht vor riesigen Baustellen.
Offiziell einvernehmliche Trennung
"Was werden Sie im Knast lesen?", fragte ein US-Abgeordneter Horn im Oktober bei einer Kongressanhörung zur Affäre um manipulierte Emissionstests. Die Szene, die sich nur wenige Wochen nach dem Bekanntwerden von "Dieselgate" in Washington abspielte, zeigt, unter welch hohem Druck der US-Statthalter von VW stand. "Wir waren unehrlich. Wir haben es völlig vermasselt", hatte Horn kurz vorher bei einer Fahrzeug-Präsentation in New York gesagt. Das Büßergewand war bis zuletzt seine Alltagskluft.
Ob es dem 54-Jährigen einfach zu viel wurde, ob er der Belastung nicht mehr standhalten konnte oder wollte – darüber lässt sich nur spekulieren. Die Verlautbarungen des Konzerns erschöpfen sich bisher in Standard-Phrasen: Die Trennung erfolge in "beiderseitigem Einvernehmen", Horn wolle sich nun "anderen Aufgaben widmen", hieß es in einer Pressemitteilung. Fest steht: Der Rücktritt kam plötzlich. Sogar in Kreisen des mächtigen VW-Aufsichtsrats zeigte man sich verblüfft.
Phaeton geht – neues Konzept für Dresden gesucht
In Deutschland steht derweil das Ende des Phaeton bevor. Mit ihm wollte VW die Oberklasse erobern. 2001 bei der Eröffnung der Gläsernen Manufaktur in Dresden war die Zuversicht noch groß. Doch erst blieb der Erfolg aus, und dann kam auch noch die Abgas-Krise. In wenigen Tagen ist das Kapitel endgültig Geschichte.
Mitarbeiter müssen pendeln
Der Termin für den letzten Phaeton steht offiziell noch nicht fest – angeblich soll es der 18. März sein. Klarheit gibt es aber zumindest über den letzten Kunden. Der kommt nach Angaben von Manufaktur-Sprecher Carsten Krebs aus China und wird sein Auto nicht persönlich abholen. Ganz anders als die glamouröse Eröffnung 2001 mit dem damaligen Vorstandschef Ferdinand Piëch und Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) soll der Abgesang des Luxuswagens leise über die Bühne gehen. Eine Art Party ist für die Mitarbeiter wohl geplant. Details will das Unternehmen nicht verraten. Zum Feiern ist niemandem zumute. Denn die Mitarbeiter sind einmal mehr die Verlierer. Gerade einmal rund 100 der knapp 500 Mitarbeiter sollen noch in Dresden bleiben. "Keiner der Kollegen wird seinen Arbeitsplatz verlieren", heißt es aus der Konzernzentrale. Statt stempeln ist dann pendeln angesagt - zunächst ins 115 Kilometer entfernte VW-Werk Zwickau.
Übergangskonzept geplant
Eine dauerhafte Lösung gibt es für die Männer und Frauen noch nicht. Sie hoffen auf eine Rückkehr, um dann den E-Phaeton montieren zu können. Doch ob der wirklich kommt, ist Zukunftsmusik. Kaum war die Vision im Oktober in den Schlagzeilen, hieß es aus dem Konzern, sie sei schon wieder gestrichen. Oder zumindest auf unbekannt verschoben.
Solange greift ein Übergangskonzept. Die Verbliebenen sollen die Manufaktur zu einer Art Erlebniswelt umfunktionieren, sozusagen eine Art Autostadt im Kleinen. Kultur, Konzerte, Lesungen sollen dann in dem Glas-Ambiente stattfinden. Und wenn möglich, wäre auch eine Ausstellungswelt zum Zukunftsthema E-Mobilität wünschenswert. Über die Finanzierung soll nach Angaben aus Konzernkreisen Anfang April entschieden werden.
Vorwurf der Steuerhinterziehung in Indien
In Indien sieht sich Volkswagen mit Vorwürfen zu Steuerhinterziehung und Kampfpreisen konfrontiert. Der Autobauer soll innerhalb seines Firmengeflechts auf dem Subkontinent Verkaufs- und Verbrauchssteuern falsch berechnet und damit Millionen am Fiskus vorbeigeschleust haben. Die indische VW-Tochter werde gegen eine Anordnung der Steuerbehörde auf Nachzahlung vorgehen, erklärte ein Sprecher des Unternehmens am Mittwoch im indischen Pune.
Falsche Zeitpunkte und Preise
Laut einem Bericht der Zeitung "Indian Express" verlangt das Finanzministerium in Neu Delhi umgerechnet 44 Millionen Euro von VW. Zudem würde eine Strafe in gleicher Höhe fällig. Demnach berechnete die indische VW-Tochter die Steuerlast auf den Wert der Fahrzeuge am Fabriktor und nicht – wie vorgeschrieben – später bei den Händlern zum Zeitpunkt der Verkäufe an die Endkunden.
Außerdem, so der zweite Vorwurf, soll Volkswagen Autos unter dem Herstellungspreis verschleudert und als Ausgleich Subventionen des Mutterkonzerns kassiert haben. Damit habe man die Preise künstlich gedrückt, ohne dass reguläre Marktmechanismen aus tatsächlichen Produktionskosten und Gewinnmarge den Verkaufspreis ergaben.
Gängige Praktiken
Die indische VW-Tochter erklärte, sie habe sich nach den in der Industrie gängigen Praktiken gerichtet. Der unabhängige Marktanalyst Ranojoy Mukerji sagte, die meisten großen Autofirmen versteuerten in Indien tatsächlich den Wert ab Fabriktor. Doch diese stellten auch fast alle Teile in Indien selbst her. Volkswagen könne viele Teile importieren – und bewege sich damit in Graubereichen der Regeln.