16.03.2016

VW-Skandal – Kein Krisenende in Sicht

Obwohl der Abgas-Skandal inzwischen ein halbes Jahr alt ist, versinkt VW immer tiefer in der Krise. Ein Rücktritt zur Unzeit, erzürnte Vertriebler, Krach mit den Behörden, Hunderte Klagen und drohende Milliardenstrafen - dem Konzern steht das Wasser zum Hals.

Dem Mann, der für VW die Kohlen aus dem Feuer holen soll, sind die Hände gebunden. "Nein, ich bin noch nicht so weit", sagt Ken Feinberg. Der Staranwalt, der schon dem größten US-Autobauer General Motors im Skandal um defekte Zündschlösser aus der Patsche half, soll Volkswagens großer Schadensbegrenzer in der Affäre um manipulierte Abgaswerte sein - eigentlich.


Feinberg hat den Auftrag, Wiedergutmachung bei den zahlreichen "Dieselgate"-Geschädigten zu betreiben. Hunderte Fahrzeugbesitzer und Autohändler klagen gegen VW. Der Jurist soll außergerichtliche Vergleiche mit ihnen schließen – im Klartext: Geld bieten und das Klagerecht abkaufen. Dafür muss ein großer Entschädigungsfonds her.

Fehlendes Budget verhindert Fortschritt


Doch auch fast drei Monate nach seiner Verpflichtung bleibt Feinberg vorerst ein Krisenhelfer im Wartestand. "VW hat noch kein finales Budget verabschiedet", erklärt der Anwalt. Das Hauptproblem seien die zähen Verhandlungen mit den Umweltämtern EPA und Carb über einen Plan zur Beseitigung der Betrugssoftware in Hunderttausenden vom Skandal betroffenen Dieseln. "Wir brauchen eine Einigung", sagt Feinberg.


Aber statt Fortschritten mit den US-Regulierern liefert VW nur weitere Negativschlagzeilen - die Chaostage nehmen auch ein halbes Jahr, nachdem die Abgas-Affäre ins Rollen kam, kein Ende. Während in Deutschland Vorstände unter Druck geraten und Nachrichten über einen Stellenabbau für Unruhe sorgen, eskaliert der Krisenherd USA weiter.

Misstrauen und stockende Verhandlungen


Nach dem plötzlichen Rücktritt des Landeschefs Michael Horn macht der bislang loyale Vertrieb Stress. Der einflussreiche US-Verband der VW-Händler, der Horn auf Händen trug, zürnt über "Missmanagement" und gibt damit ein Misstrauensvotum für dessen Interimsnachfolger Hinrich Woebcken ab, bevor der Ex-BMW-Manager sich richtig vorstellen konnte.


Vor allem aber läuft VW die Zeit davon im Ringen mit den US-Behörden. Die Gespräche schleppen sich dahin, seit die Aufseher die Vorwürfe am 18. September 2015 veröffentlichten. Gibt es überhaupt Fortschritte? "Kein Kommentar", heißt von der EPA. Aber es ist kein Geheimnis, dass das Verhältnis zwischen Washington und Wolfsburg angespannt ist.

Ultimatum soll Antworten bringen


Die Uhr tickt. So wie Feinberg Klarheit braucht, um Entschädigungen aushandeln zu können, so muss auch Charles Breyer rasch wissen, ob eine Einigung mit der EPA gelingt. Der Bezirksrichter ist für über 600 Zivilklagen gegen VW zuständig und damit eine zentrale Figur im Abgas-Skandal. Er kann keine Chancen für einen Vergleich ausloten, solange nicht geklärt ist, ob die Autos repariert werden können.


"Es gibt ein Ultimatum - bis zum 24. März fordere ich von VW und der EPA eine definitive Antwort", drängte Breyer im Februar. Der Richter nimmt Wolfsburg in die Pflicht: "Niemand fordert von VW eine perfekte Lösung." Aber es gebe möglicherweise weniger perfekte und dafür schneller umsetzbare Lösungen. "Fast 600.000 Fahrzeuge sind bis zum heutigen Tag auf den Straßen unterwegs - ohne gültige Zulassung."

Fehlende Lösungen für alle Diesel


VW schiebt die Hängepartie indes auf die hohe technische Komplexität und sieht bei Breyers Frist vor allem die EPA in der Verantwortung: "Das muss er nicht uns sagen, das muss er den Behörden sagen", meint Konzernchef Matthias Müller. Die Zeichen stehen auf Konfrontation.


Volkswagen habe bereits beim Justizministerium deutlich gemacht, dass das Ultimatum nicht einzuhalten sei, berichtete das "Wall Street Journal" vergangene Woche unter Berufung auf Insider. Kurz zuvor hatte auch ein Carb-Vertreter bei einer Anhörung des kalifornischen Senats gesagt, dass VW nicht in der Lage sei, alle betroffenen Diesel zu reparieren und in einen gesetzeskonformen Zustand zu bringen.


Vor allem bei den Modelljahren 2009 bis 2013, die veraltete Motoren und den höchsten Abgasausstoß haben, gibt es offenbar keine Lösungen. "Eine Option wäre es, VW vorzuschreiben, diese Wagen zurückzukaufen", sagte der Carb-Vertreter. Weil das aber unangenehm für die Kunden sei, würden auch Bußgelder statt Rückkäufen erwogen. Das könnte für VW günstiger sein, darüber kann derzeit aber nur spekuliert werden.

Kompletter Schaden schwer abzuschätzen


Hohe Kosten kommen auf den Konzern, der bislang 6,7 Milliarden Euro für "Dieselgate" beiseitelegte, in jedem Fall zu. Im Januar reichte das Justizministerium im Auftrag der EPA Zivilklage gegen VW ein, die theoretische Höchststrafe liegt bei über 46 Milliarden Dollar. Und das ist nicht alles: "Die 50 Bundesanwälte der US-Staaten haben immense Forderungen, zudem gibt es strafrechtliche Ermittlungen", sagt der Rechtsprofessor John Coffee von der Columbia University.


VW muss sich gegen etliche Vorwürfe von Betrug und Vertragsbruch über Umweltverschmutzung und Anleger-Täuschung bis hin zu irreführender Werbung und Wettbewerbsverzerrung wehren. Angeblich haben die US-Fahnder den Konzern inzwischen auch wegen Bankbetrugs und Steuer-Verstößen im Visier. Damit könnten weitere Strafkataloge geöffnet werden. "Ich glaube nicht, dass irgendjemand schon den Totalschaden abschätzen kann", meint Experte Coffee.

VW-Marktanteil schrumpft weiter


Unter den deutschen Herstellern büßte Volkswagen im Sog der Affäre um manipulierte Abgasmessungen im Jahresvergleich erneut Marktanteile ein. Volkswagen musste sich im Februar mit einem Absatzplus von 8 Prozent zufriedengeben. Pkws der Marke Volkswagen verzeichneten einen Zuwachs um 4,4 Prozent. Am besten schnitten Daimler ab, die die Verkäufe um 21,5 Prozent steigerten. BMW verkaufte 13,9 Prozent mehr Fahrzeuge.