04.03.2016

VW-Skandal – Passat Rückruf eher Ende März

Der Autobauer Volkswagen rechnet mit dem Start seiner ersten großen Rückrufwelle im Diesel-Skandal eher für Mitte März. "Die Nachmessungen des Kraftfahrt-Bundesamtes zum Passat laufen derzeit noch", teilte VW am Donnerstag auf Anfrage mit.

Die mit den Nachmessungen verbundene technische KBA-Freigabe für die Rückrufaktion, bei der der Passat den Anfang macht, sei aber noch für diese Woche zu erwarten. Der Beginn der Aktion selber sei dann für die folgende oder die übernächste Woche im März realistisch.

Erste Terminankündigungen


Mitte Februar hatte VW mitgeteilt, dass die erste große Rückrufwelle mit der am vergangenen Montag begonnenen Kalenderwoche neun starte, und zwar mit den "Reparaturmaßnahmen in den Werkstätten". Zunächst muss VW aber erst die Kunden anschreiben, was wegen des fehlenden grünen Lichts vom KBA aus Flensburg derzeit noch nicht erfolgt ist.

Startschuss mit dem Amarok


Im Januar war mit rund 8500 Modellen des VW-Amarok der Startschuss für den Rückruf gefallen, jedoch angesichts der kleinen Fahrzeugzahl noch im Mini-Maßstab. Insgesamt sind deutschlandweit 2,5 Millionen Diesel aus dem VW-Konzern vom Rückruf betroffen. Meist genügt ein Software-Update, bei den 1,6-Liter-Motoren muss auch ein Bauteil her.

Volkswagens Versprechen


Volkswagen verspricht, dass sich die Eigenschaften des Fahrzeugs nach dem Software-Update nicht nachteilig verändern. Dabei geht es um die Parameter Leistung, Verbrauch und Geräuschpegel. Zur Langlebigkeit der Antriebe kann VW mangels Langzeittests keine Aussagen machen, sieht aber keine Anzeichen, die auf mögliche Probleme hindeuteten.

 

Brisante Wochenendpost für Ex-VW-Chef Winterkorn

Die Aufarbeitung der Abgas-Affäre bei Volkswagen könnte sich für Ex-Konzernchef Winterkorn zu einem Bumerang entwickeln. Nach Mitteilung des Konzerns wusste dieser möglicherweise schon 16 Monate vor dem späteren Bekanntwerden von Ungereimtheiten und Problemen. 

Es dürfte eine der längsten Pressemitteilungen in der Volkswagen-Geschichte sein. Doch der Sprengstoff der gut drei Seiten, die der VW-Konzern am Mittwochabend aussendete, steckt vor allem in einem einzigen Satz: "Ob und inwieweit Herr Winterkorn von dieser Notiz damals Kenntnis genommen hat, ist nicht dokumentiert." Der kurze Satz informiert darüber, dass der damalige Konzernboss Martin Winterkorn schon im Frühling 2014 - rund eineinhalb Jahre vor dem Ausbruch des Diesel-Skandals - von der Wurzel des Problems hätte wissen können. Doch ob er die Notiz in seiner Wochenendpost überhaupt las und ob er deren Brisanz erahnte, sei eben "nicht dokumentiert".

Botschaft in der Post

Der Hinweis in Winterkorns Post erläuterte Ungereimtheiten beim Abgasverhalten des Skandalmotors EA 189, die aus einer im Mai 2014 vorgelegten Studie hervorgingen. Die Analyse sollte die US-Behörden in der Folge stutzig machen und die Affäre um weltweit elf Millionen manipulierte Konzernfahrzeuge ins Rollen bringen. Für einige Medien ist die Sache damit nun klar: Winterkorn war schon frühzeitig über den Abgas-Skandal informiert. Diese Lesart aber ist nicht zwingend.

Vorwürfe von Anlegern

Man kann das annehmen, nur kann man es nicht belegen. Schon gar nicht mit der Existenz der Notiz in der Wochenendpost. Doch die Büchse der Pandora ist nun offen. Schon vor der Pressemitteilung kursierten in den Medien Teile einer gut 120-seitigen Klageerwiderung, mit der sich VW gegen Anlegervorwürfe wehrt, wonach der Konzern im Wissen um die Tragweite des Skandals die Finanzwelt zu spät informiert habe.

Seit Monaten geht auch die Bundesfinanzaufsicht dieser Frage nach. Wie bei allen anderen Ermittlungen zur Abgas-Krise ist auch hier noch nichts Konkretes bekannt. «Die Prüfung wird noch Monate dauern», sagte eine Sprecherin am Donnerstag. Damit dürfte das Ergebnis auch bei der voraussichtlich erst im Juni stattfindenden Hauptversammlung noch nicht auf dem Tisch liegen.

Winterkorn in Zwickmühle

Dennoch könnte es für Winterkorn brenzlig werden. Denn auch wenn der Konzern argumentiert, dass selbst Anfang September 2015 die Affäre noch auf die USA begrenzt zu sein schien, ist nun erstmals vom Konzern bestätigt, dass die Wurzel des Problems schon im Mai 2014 zu einem Vorgang für den obersten Chef wurde. Dies hatte Winterkorn, der kurz nach Bekanntwerden des Skandals um manipulierte Dieselfahrzeuge zurücktrat, immer vehement bestritten. Fraglich bleibt dabei auch, ob und wie er die Sache wertete, denn das ist "nicht dokumentiert".

Für Winterkorn gilt die Unschuldsvermutung. Womöglich nahm er die Passage in seiner Wochenendlektüre gar nicht wahr. Doch allein schon der Umstand, dass ein schriftlicher Vorgang bei ihm so früh ankam, manövriert ihn in eine Zwickmühle. Entweder er kann sich nicht mehr erinnern. Oder er nahm es zur Kenntnis, hielt es aber für Tagesgeschäft. Oder er erklärte es doch zur Chefsache, was wenig plausibel erscheint, da ja "nichts dokumentiert" ist. Alle Varianten bieten Angriffsfläche. Oder es ist noch schlimmer und Winterkorn wusste damals schon alles.

Erklärungen von VW

Der Konzern stellt es so dar: "Nach aktuellem Kenntnisstand erfuhr die Angelegenheit, da sie vielmehr als ein Produktthema unter vielen behandelt wurde, zunächst auf den Führungsebenen bei Volkswagen keine besondere Aufmerksamkeit." Die Sache habe daher im Ausschuss für Produktsicherheit gelegen. "Emissionsabweichungen zwischen Prüfstands- und Straßenbetrieb kommen bei allen Automobilherstellern vor und sind keineswegs automatisch auf Regelverstöße zurückzuführen."

Lässt sich die Sichtweise halten? In der Notiz aus der Wochenendpost, deren Wortlaut VW-intern sehr wohl dokumentiert ist, soll es laut der "Bild am Sonntag" heißen: "Es ist zu vermuten, dass die US-Behörden die VWSysteme daraufhin untersuchen werden, ob Volkswagen eine Testerkennung in die Motorsteuergeräte-Software implementiert hat (sogenanntes Defeat Device)." Klingt das noch nach Tagesgeschäft?

Konzern ordert Hilfe

Hinter den Kulissen ist der Konzern schon weiter. Wie die Deutsche Presse-Agentur Ende Februar meldete, hat der VW-Aufsichtsrat eine der führenden deutschen Kanzleien für Fragen des Gesellschaftsrechts verpflichtet, um die Dimension einer möglichen Haftung des Konzerns besser bewerten zu können. Ein Anlass ist auch der frühe schriftlich belegte Vorgang an der Vorstandsspitze bei Winterkorn.

Rückendeckung erfährt Winterkorn von ehemaligen Weggefährten: "Ich glaube nicht, dass Winterkorn so vom Ehrgeiz zerfressen war, dass er dafür auch bereit war, kriminell zu werden", sagt ein Insider, der ihn gut kennt. Dies könne auch nicht aus Winterkorns Ziel für den Konzern abgeleitet werden, bis 2018 Toyota von der Spitze des Autobauer-Throns zu stoßen. Ungeachtet dessen zeichne sich aber das Bild ab, dass Winterkorn möglicherweise fahrlässig gehandelt habe. "Wenn die höchste Ebene es hätte wissen wollen, hätte sie es auch erfahren können."

Sichtweise eines Klägers

Für einen der Anlegerkläger, Andreas Tilp, kommt es indes nicht groß an auf Winterkorns Wissen. "Wenn er es nicht gelesen hat, muss VW sich (...) jedenfalls so behandeln lassen, als hätte er es gelesen», schrieb Tilp am Donnerstag. Der juristische Hintergrund dieses Arguments erinnert an das Prinzip «Unwissenheit schützt vor Strafe nicht". Es besagt mit dem sogenannten Organisationsverschulden als höchstrichterliche Regelung, dass ein Unternehmen zusehen muss, sein System an Kontrolle und Überwachung scharf genug zu schalten. Diese Vorgabe sei "ständige Rechtssprechung", betonte Tilp.

Proaktive Aufklärung findet Anklang

Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat Stephan Weil will den Vorgang nicht kommentieren. Das Kontrollgremium finde es generell gut, wenn Volkswagen «proaktiv» im Zusammenhang mit der Aufklärung Öffentlichkeitsarbeit betreibe. Welche Rolle Winterkorn in der Affäre gespielt oder wann er wovon erfahren habe, will er unter Verweis auf die Aufarbeitung nicht erläutern.

Stattdessen verweist Weil auf die vom Aufsichtsrat in Auftrag gegebene Untersuchung durch die Kanzlei Jones Day. Der Bericht soll im April vorgelegt werden. Er selbst habe Winterkorn als sympathischen und tüchtigen Menschen kennengelernt, sagt Weil. Jetzt müsse er bisweilen Dinge über ihn lesen, die nicht mit seinem Bild dieser Persönlichkeit übereinstimmten.