Vor allem Zweiradfahrende müssen auf der Hut sein: Wie aus dem Nichts steht plötzlich eine geöffnete Autotür im Weg, Zeit zum Reagieren bleibt kaum. Radler prallen gegen die Innenseite der Fahrertür, mit dem Kopf gegen die obere Türkante. Roller- und Motorradfahrer meist noch mit größerer Wucht. Unfallforscher sprechen von Dooring-Unfällen (engl. door = Türe), wenn`s kracht. Jeder fünfte Unfall von Radfahrern und Fußgängern, der sich innerorts ereignet, hängt mit parkenden Autos zusammen. Das sagt eine aktuelle Studie der Unfallforschung der Versicherer (UDV). Amtliche Statistiken veröffentlichen deutlich geringere Zahlen.
Viele vergessen den Schulterblick vor dem Türen öffnen
Motor ausschalten, Handbremse ziehen, Türe öffnen – mit dieser Routine steigen viele Autofahrende aus ihrem Fahrzeug. Was vergessen? Ach ja, der Schulterblick! Was der Mensch am Steuer oftmals missachtet, ist bei seinen Mitfahrern noch häufiger anzutreffen: der fehlende Blick nach hinten. Herannahende Zweiradfahrer können das Risiko kaum abwägen.
Zweiradfahrer haben kaum eine Chance, Dooring-Unfälle zu verhindern
Etwa elf Meter vorher müsste ein Radler, der 20 km/h schnell ist, bemerken, dass jemand aus einem Auto steigen möchte. Dann könnte er noch rechtzeitig bremsen oder ausweichen. Aus dieser Distanz fällt es jedoch schwer zu erkennen, ob überhaupt Personen im Auto sitzen. Der Trend zu dunkel getönten Scheiben macht es noch schwieriger, den Überblick zu behalten. Überdies sind Ausweichmanöver riskant oder wegen überholender Fahrzeuge nicht möglich.
Wo ereignen sich diese Unfälle?
Oft geschehen sie dort, wo es keine separate Radverkehrsführung wie Schutzstreifen oder Radfahrsteifen gibt, also an „normalen“ Straßen, an denen der Radfahrer direkt am parkenden Verkehr vorbei fahren muss. „Parkende Fahrzeuge stellen grundsätzlich ein Risiko für Radfahrer dar. Das muss bei allen Infrastrukturplanungen berücksichtigt werden“, sagt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV).
Deshalb kommt es zu gefährlichen Begegnungen
Für Radler gilt das Rechtsfahrgebot, da geht es oft eng an parkenden Autos vorbei. Häufig verläuft selbst ein markierter Radweg zwischen den am Straßenrand geparkten Autos und der Fahrbahn. Riskant ist es zudem, wenn der Radweg am Rande von Gehwegen verläuft, dann sind es die Bei- oder Mitfahrer im Auto, die Radler in die Bredouille bringen. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa ist nahezu die Hälfte aller Radfahrer (45 Prozent) schon mindestens einmal mit einer sich ohne Vorwarnung öffnenden Autotür zusammengestoßen.
Autofahrer sind nicht genug sensibilisiert
Vielen Autofahrern fehlt es der Umfrage zufolge insgesamt an Problembewusstsein: 13 Prozent denken beim Aussteigen selten oder nie an die Gefahr sogenannter Dooring-Unfälle, das ermittelte der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) in einer Umfrage. Immerhin kam es im Jahr 2018 zu rund 3.500 sogenannten Dooring-Unfällen, die mitunter schwerwiegende Folgen haben und von denen auch Motorradfahrer und Nutzer von E-Scootern betroffen sein können.
Tipps für Passagiere im Auto
Der Wagen steht, der Motor ist aus. Ehe es jetzt ans Aussteigen geht, muss der Blick in den Außenspiegel und über die Schulter nach hinten in Fleisch und Blut übergehen. Ein Appell an alle Insassen, vorsichtig auszusteigen – mit einem Blick nach hinten – zeigt positive Wirkung. Hilfreich: mit dem „holländischen Griff“ aussteigen. Die Tür ist dabei immer nur mit der türabgewandten Hand zu öffnen. In der Praxis nutzen Fahrer und der hinter ihm sitzende Passagier die rechte Hand, Beifahrer und Fondinsasse dahinter die linke. Auf diese Weise drehen sich Oberkörper und Kopf automatisch in Richtung des nachfolgenden Verkehrs und herannahende Zweiradfahrende werden rechtzeitig erkannt. So lernen es in den Niederlanden bereits Fahrschüler.
Das hilft Rad- und E-Scooter-Fahrenden
An parkenden Autos vorbeizufahren heißt für jeden Menschen auf einem Zweirad, konzentriert das Geschehen im Auge zu behalten – auch die parkenden Autos. Keine Ablenkung erlauben und auf Indizien achten: Wo ein Bremslicht aufleuchtet oder der Rückfahrscheinwerfer aktiv ist, da sitzen auch Menschen in den Autos. Wenn eine Beifahrertür aufgeht, kann sich im nächsten Moment die Fahrertüre öffnen, oder umgekehrt. Rad- und Rollerfahrende sollten nicht zu nah an parkenden Autos vorbeifahren. Die Autotüre eines Zweisitzer, eines Coupés oder Cabriolets ragt in der Regel weiter in die Fahrbahn – bis zu 1,20 Meter.
Was bietet die Technik der Autohersteller?
Bereits in vielen Fahrzeugen stehen Assistenzsysteme dem Fahrer zur Seite. Mercedes offeriert in einigen Modellen ein System mit akustischen und optischen Warnungen, wenn sich beim Öffnen der Tür ein Fahrrad von hinten nähert. Audi setzt neben Warnlicht zusätzlich einen elektronischen Schließmechanismus ein, der das Aufschwingen der Tür verhindert. Großer Entwicklungsaufwand ist nicht einmal daran geknüpft, vorhandene Assistenzsysteme sind dafür vorbereitet. Sensoren, die im Fahrbetrieb vor Kollisionen beim Spurwechsel warnen, überwachen dann eben auch im Stand den Bereich hinter dem Fahrzeug. Die Ausstiegswarnung überprüft rund 20 Meter um das Fahrzeug-Heck und warnt noch einige Minuten nach Abschalten der Zündung vor nahenden Fahrradfahrern.
Das System von Ford warnt nicht nur die Autoinsassen, sondern auch die Zweiradfahrer
Ford nutzt seinen Totwinkel-Assistent (BLIS – Blind Spot Information System). Das System analysiert und versteht Bewegungen von sich nähernden Fahrrädern oder E-Scootern, sowohl auf der Fahrer- als auch auf der Beifahrerseite des Fahrzeugs. Erkennt das System beim Öffnen der Fahrzeugtür eine drohende Kollision, piepst es und die Menschen im Auto sind vorgewarnt. Ein Warnsignal bekommt auch der herannahende Radler – LED-Lichter an der Verkleidung des Außenspiegels beginnen zu blinken. Die Ingenieure testen außerdem einen neuen Mechanismus für die Autotür, der vorübergehend verhindert, dass sie sich vollständig öffnet, bis die Ausstiegswarnfunktion feststellt, dass sich der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer wieder sicher vom Fahrzeug entfernt hat. Diese Funktion kann im Notfall manuell außer Kraft gesetzt werden. Und noch eine Variante an denen Ford-Entwickler tüfteln: Sobald sich ein Radfahrer von hinten nähert, beginnen die Türgriffe des Autos zu vibrieren und warnen den Autofahrer.
Was ist an der Infrastruktur zu verbessern?
Kommunen praktizieren es häufig so: Auf bereits vorhandenen Fahrbahnen legen sie einen Radstreifen an, teilweise in auffälligem Grün oder Rot bemalt. Die meisten sind nur per gestrichelter Linie abgegrenzt und gar nicht so selten führen diese direkt an parkenden Autos entlang. Das birgt gleich drei Gefahrenpotenziale: Der Radweg signalisiert optisch Sicherheit und Abgrenzung, aber Autofahrer dürfen ihn wegen der gestrichelten Linie auch benutzen. Außerdem ist die Gefahr für Dooring-Unfälle groß. Eine aktuelle Umfrage des Berliner Tagesspiegels, an der 21 000 Berliner Radfahrende teilgenommen haben, ergab: Deutliche Abtrennungen von Fahrbahn und ein extra markierter Schutzstreifen zwischen parkenden Autos und dem eigentlichen Radweg verbessern auch das Sicherheitsgefühl von Radfahrern. Noch besser: Radwege und parkende Autos voneinander trennen.
Das fordert Unfallforscher Siegfried Brockmann
Siegfried Brockmann fordert die Kommunen vor dem Hintergrund der Befunde auf, sämtliche Parkplätze am Straßenrand kritisch zu überprüfen: Sichtachsen müssten viel besser als üblich freigehalten werden, zu parkenden Fahrzeugen müsse ein Sicherheitsstreifen von mindestens 0,75 Metern markiert werden und Fußgängern müssten mehr sichere Querungsstellen als bisher angeboten werden. Die Polizei sei aufgefordert, regelwidrig parkende Fahrzeuge abschleppen zu lassen, besonders wenn sie die Sicht anderer Verkehrsteilnehmer behindern. Autohersteller könnten gegen Dooring-Unfälle die in vielen neuen Modellen schon vorhandenen Sensoren nutzen, um sich nähernde Radfahrer zu erkennen und gegebenenfalls einen Warnton zu senden oder die Tür kurz zu blockieren. Der ACE fordert ebenfalls den konsequenten Ausbau sicherer, vom Auto- und Fußgängerverkehr getrennter Fahrradwege gerade in Städten.
Die Idee eines Tüftlers und Taxifahrers
Angenommen, ein Fahrzeuginsasse fasst an den Türgriff und ein herannahender Radler bekommt diese Information signalisiert, noch ehe sich die Türe öffnet. Etwa, indem die dritte Bremsleuchte blinkt. Zülfikar Celik, Taxifahrer aus Wesel, hat sich diese Idee patentieren lassen und ein Konzept dafür entwickelt. Vorteil: Technisch ließe sich diese Lösung für nahezu alle Fahrzeuge nachrüsten. Mehr als ein kleiner Eingriff in die Bordelektronik wäre dazu nicht notwendig. Vorteil für Radler: Sie haben einen Sekundenbruchteil mehr Zeit, auf das Risiko zu reagieren. Nachteil: Der Radfahrer muss auf das Fehlverhalten der Autoinsassen reagieren. Radfahrverbände favorisieren eine Regel, die Autoinsassen in die Pflicht nimmt. Und die Autohersteller pochen auf ihre technischen Kniffe, die leider nur in Neuwagen erhältlich sind. Deshalb sind die Celiks Argumente nicht verkehrt. „Jeder Radfahrer, der frühzeitig eine Warnung erhält, hat eine größere Chance, zu reagieren. Und meine Lösung kostet so gut wie nichts“.