Gerade ist in Stuttgart mal wieder Feinstaubalarm. Aber nicht nur hier, sondern weltweit gibt es Diskussionen über eventuelle Fahrverbote für Verbrenner-Motoren. Ist das die Lösung?
Koch-Gröber: Die Feinstaubemissionen liegen nur zu einem kleinen Teil an den Abgasen der Verbrennungsmotoren – übrigens heute etwas höher bei Benzinern als bei Dieseln, da die Diesel mit den Partikelfiltern ein effizientes und nicht per Software austricksbares Stück Technik haben. Die Feinstaubemissionen aus dem Auspuff liegen bei etwa sieben Prozent, deutlich höher sind Bremsen- und Reifenabrieb – und die sind beim Elektroauto keineswegs null. Das große Problem sind Stickoxide und die sind ganz unbestritten ein Problem des Dieselmotors. Aber die Industrie zeigt, dass es Möglichkeiten gibt, den Diesel deutlich sauberer zu machen. Elektroautos sind vielfach keine Alternative. Die Antriebe sind zwar da, aber die Batterien werden auch 2030 noch zu teuer und zu schwer sein.
Daberkow: Es gibt aber große Fortschritte. Tesla zeigt, dass wir heute schon 400 Kilometer weit fahren können, Bosch und Daimler machen Batteriefabriken auf. Bezahlbare Autos mit 300 Kilometer Reichweite sind angekündigt.Koch-Gröber: Autos mit Kernreaktor waren auch angekündigt. Ich will diese Batterieleistung erst erfahren – und zwar über die gesamte Lebensdauer des Autos in der Vielfalt des realen Betriebs.
Daberkow: Die Hersteller testen doch heute schon die Batterien über die Lebensdauer und machen große Fortschritte – selbst bei unserem Forschungsfahrzeug leben die Batterien schon ohne Reichweiteneinbuße über sechs Jahre und fast 50 000 Kilometer.Koch-Gröber: Bei meinem High-tech-Smartphone war der Akku nach zwei Jahren am Ende. Da sind die Kosten für einen neuen verkraftbar, wenn ich bei einem fünf Jahre alten Auto aber zehntausend Euro für einen neuen Akku hineinstecken muss, werden gebrauchte E-Mobile nicht wertstabil sein.
Daberkow: Das Batteriemanagement ist viel besser als bei einem Smartphone. Die oft kritisch angesehene „Batteriemiete“ parallel zum Kaufpreis ist eine echte Option – damit kann ein Batterieupdate mit fast 50 Prozent mehr Reichweite erhalten werden.Koch-Gröber: Wenn auch nur ein Prozent aller Batterien vor 100 000 Kilometern in die Knie geht, ist das qualitäts- und kostenmäßig eine Katastrophe. Außerdem bleiben die langen Ladezeiten.
Aber ein teures Malheur passiert bei Verbrennern doch auch, als da wären: Fehlbetankungen, defekte Steuerketten oder DSG-Getriebe. In der Summe macht das sicher mehr als ein Prozent.
Koch-Gröber: Das ist richtig, und das hat Firmen und Kunden auch viel Geld gekostet. Dennoch ist der Qualitätsstandard der konventionellen Antriebe auf einem Niveau, das ich bei elektroangetriebenen Fahrzeugen noch nicht sehe. Wenn Sie viel Geld in ein Auto investieren und das ist nach drei, vier Jahren nichts mehr wert, dann haben Sie einen großen Schaden.
Daberkow: Ich denke, die Batterieproblematik wird überschätzt. Ein Auto wird in der überwiegenden Zeit nicht gefahren, sondern geparkt. Für viele Erwerber eines E-Autos ist dies ein Dienst-, Zweit- oder Drittfahrzeug. Zu Hause oder an der Arbeitsstelle können heute schon die meisten problemlos laden. An dem Ausbau des öffentlichen Netzes wird intensiv gearbeitet.
Koch-Gröber: Aber es kostet gigantische Investitionen. Da kann man auch fragen, ob man mit dem Geld nicht anderweitig mehr CO2 und Ressourcen einsparen könnte, zum Beispiel bei der Gebäudesanierung.
Ein EU-Richtlinienentwurf zur Gebäudeeffizienz schreibt vor, dass alle Firmengebäude mit mehr als zehn Parkplätzen ab 2025 die Möglichkeit zum Laden von Elektroautos bieten sollen. Das soll für neue Gebäude und solche gelten, die grundlegend saniert werden. Kein schlechter Weg, die Firmen und ihre Pendler in die Pflicht zu nehmen, oder?
Koch-Gröber: Ganz ehrlich, 2025 finde ich nicht sonderlich ambitioniert. Würde man es ernst meinen, müsste schneller was gehen.
Daberkow: In den Großstädten könnte man die Mineralölkonzerne einfach verpflichten, mindestens eine Ladesäule pro Benzintankstelle anzubieten. Die installierte elektrische Leistung ist ja da. In Deutschland würde dies 12 000 Ladesäulen auf einen Schlag ergeben.
Koch-Gröber: Stellen wir uns mal vor, wir haben tatsächlich viele Elektroautos auf der Straße. Und jetzt stellen wir uns eine zur Urlaubszeit hochausgelastete Autobahn vor, das wären dann ungefähr 12 000 Fahrzeuge pro Stunde in einer Richtung. Wenn nur die Hälfte dieser Fahrzeuge jetzt elektrisch unterwegs ist, eine durchschnittliche Reichweite von 250 Kilometern hat, eine halbe Stunde geladen werden muss – was schon relativ schnell wäre – und es alle 40 Kilometer eine Raststätte mit Lademöglichkeiten gibt, wie viele Ladesäulen müsste man dann pro Raststätte installieren, um all diese Fahrzeuge laden zu können? Es wären 480 – ich stelle die Zahl jetzt einfach mal so in den Raum.
Daberkow: Das würde ich auch so darstellen, wenn ich ein Gegner der Elektromobilität wäre. Aber wenn Elektroautos weit verbreitet sind, werden sie zum einen auch eine wesentlich größere Reichweite haben. Zum anderen wird die Lade-Infrastruktur eine ganz andere sein. Dann haben nicht nur Raststätten, sondern auch Pensionen, Restaurants und Supermärkte alle Ladesäulen, wo man sein Auto laden kann. Die Zahl von 480 relativiert sich dann sehr, sehr schnell. Und wenn die Autos doppelt so weit fahren, dann kann man schon auch am Ziel ankommen und der Rest, der weiter fahren muss, verteilt sich.
Koch-Gröber: Ich bestreite nicht, dass die E-Mobile ein wachsendes Segment bilden, es wird aber eine größere Nische bleiben. Daher tun wir gut daran, auch für 2030 und danach die Verbrennungsmotoren weiterzuentwickeln und zu nutzen.
Daberkow: Das mit den Verbrennungsmotoren sehe ich nur für den Lkw-Langstreckenverkehr so. Über viele Jahre kommen wir mit der Infrastruktur durchaus dahin, dass die Mehrheit der Fahrzeuge elektrisch geladen wird. Zu Hause ist eine Steckdose ja ohnehin kein Problem.
Koch-Gröber: Mit Verlaub, lieber Herr Kollege, unsereins hat ein ordentliches Einkommen und sein Auto in der Garage oder auf einem Stellplatz mit Steckdose. Aber ein Laternenparker ist froh, wenn er einen Parkplatz findet. Ich provoziere mal: E-Mobile sind etwas für Besserverdienende als Zweit- oder Drittauto – oder solche, die sich mit entsprechendem Geld im Tesla an der Spitze fühlen.
Aber gerade Laternen eignen sich doch zum Laden, Umrüst-Lösungen gibt es bereits. Und viele Familien haben zwei Autos. Eines davon könnte durch ein Elektroauto für kurze Strecken ersetzt werden.
Koch-Gröber: Es gibt ganz viele Leute, die froh sind, wenn sie sich ein Auto leisten können, und die Flexibilität dieses Fortbewegungsmittels nutzen. Dabei haben zum Beispiel die Hybridantriebe eine sehr große Berechtigung. So kann ich etwa im luftverschmutzten Stuttgart elektrisch fahren, genauso aber mit meinem Auto – das ist der Vorteil davon – auf die lange Strecke gehen.
Daberkow: Schon jetzt haben viele Normalverdiener in den Städten gar kein eigenes Auto mehr, sondern nutzen Car-Sharing-Flotten oder Dienste wie Uber. Da sind wir noch ziemlich am Anfang.
Ist denn der E-Motor die Lösung für schadstoffgeplagte Städte?
Koch-Gröber: Viele Stadtentwickler und Verkehrsplaner sehen E-Mobile durchaus kritisch, weil viele Probleme bleiben, wie etwa verstopfte Straßen, hässliche Parkhäuser und Unfälle mit Fußgängern. Gerade weil Elektroautos gerne auch mal überhört werden.
Daberkow: Da wird schon intensiv geforscht, dass ein E-Mobil angemessene akustische Signale abgibt. Dies ist als Verpflichtung in vielen Ländern in Arbeit beziehungsweise eh schon vorgeschrieben.
Ist das sinnvoll? Städte sind nicht nur schadstoff-, sondern auch lärmgeplagt. Und da haben wir endlich leisere Autos und dann machen wir sie wieder laut?
Koch-Gröber: Schöne neue Welt! Früher kaufte ich mir zur Individualisierung Alufelgen, bald lade ich mir Klingeltöne ans Auto.
Daberkow: Bis zu einer Geschwindigkeit von 20 km/h hört man das Elektroauto nicht. Ich glaube, ein dezentes Geräusch macht die Stadt nicht laut – moderne Verbrenner-Motoren hört man übrigens bei geringen Geschwindigkeiten auch so gut wie nicht mehr.
Werden wir künftig eine zweigeteilte Mobilität haben – Elektroautos in der Stadt, Verbrenner auf dem Land?
Daberkow: Durch netzbasierte Flottennutzung, Ladesäulen an Parkplätzen für Pool-Fahrzeuge und so weiter können E-Fahrzeuge einen erheblichen Beitrag leisten, das Verkehrsaufkommen in Städten zu vermindern.
Koch-Gröber: Dem will ich gar nicht widersprechen, vor allem wenn man öffentlichen Nahverkehr, Radverkehr und Fußgängerwege erheblich ausbaut. Aber es leitet zu einem anderen Aspekt: Trendforscher schreiben seit Jahren: Alle ziehen in die Städte. Auf dem Land muss man sich per se schon out vorkommen. Aber da wird es mit E-Mobilen viel schwieriger.
Daberkow: Auch da ist viel möglich: Ich habe, wie du weißt, E-Mobilität im ländlich-urbanen Raum untersucht. 80 Prozent aller Fahrten sind unter 100 Kilometer, das geht ganz prima.
Koch-Gröber: Genau da liegt der Trugschluss. Warum geben wir relativ viel Geld für ein Auto aus? Wegen seiner Flexibilität! Genau wegen der 20 Prozent nicht „normalen“ Fahrten. Statt heim nach Wüstenrot fahre ich aus Heilbronn spontan zum Besuch meiner kranken Tante nach Wertheim. Mit einem Batterieauto kann ich mir das abschminken.
Daberkow: Sind doch auch nur 120 Kilometer, im Jahr 2030 wird das gut gehen. Aber auch schon heute gibt es Möglichkeiten. Vielleicht könntest du mit dem Zug anreisen und mit der Taxe weiterfahren oder dir einfach ein Auto bei car2go oder Uber leihen.
Koch-Gröber: Ich habe da auch eine gute Lösung: Bauen wir ein kompaktes Aggregat der Kraft-Wärme-Kopplung ins Auto, einen Verbrennungsmotor, dann haben wir einen Hybrid, gerne zum Nachladen an der Steckdose. Dann ist das Problem der Innenraum- und Batterieheizung im Winter gelöst und das der Reichweite erst recht.
Daberkow: O.k., ein Plug-in-Hybrid hat Vorteile. Nur mit hohen Kosten solltest du dann nicht mehr gegen E-Mobile argumentieren.
Koch-Gröber: Aber dafür haben wir ein bewährtes Prinzip. Lassen wir das den Markt entscheiden. Das ist mir weit lieber als bei den Chinesen, wo eine zentrale Steuerung zwar manches schneller umsetzt, aber dafür stehen dann überzählige Stahlwerke herum, deren Produkte keiner will.
Daberkow: Planwirtschaft ist generell keine zukunftsweisende Perspektive. Aber wenn nur der Käufermarkt entscheiden würde: Hätten wir dann überhaupt Katalysatoren im Fahrzeug? Denk an die Diskussionen damals.
Das Problem mit der Entsorgung großer Mengen alter Batterien ist auch noch ungelöst.
Daberkow: Die Industrie untersucht schon sehr aktiv Recycling- und Entsorgungskonzepte, die mit steigender Stückzahl auch wirtschaftlich werden. Schon heute kann man ein Daimler-Batteriestack in den Keller stellen.
Koch-Gröber: CO2-freie oder besser -arme Mobilität kann durchaus mit flüssigen Brennstoffen erreicht werden, es gibt interessante, weit gediehene Forschungen, synthetische Kraftstoffe ohne CO2-Emissionen herzustellen.
Daberkow: Mag alles sein. Langfristig glaube ich, die Menschen wollen keine Verbrennungsmotoren mehr. Und die Ölreserven steigen auch nicht, oder wollen wir wieder unsere Kohle aus dem Pott holen zur Synthetisierung? Wer einmal einen E-Antrieb fuhr, gerade was das lautlose Beschleunigen angeht, mag doch keinen vibrierenden Schüttelhuber mehr.
Koch-Gröber: Moderne Verbrennungsmotoren nerven nun wirklich nicht mehr mit Geräusch und Vibration, das hochfrequente Singen mancher E-Steuerungen umso mehr.
Sie könnten sich noch den ganzen Tag streiten. Trotzdem müssen wir auch mal zum Ende kommen – dürfen wir Sie um ein kurzes Schlussstatement bitten?
Koch-Gröber: E-Mobile werden bis 2030 einen zweistelligen Marktanteil in Deutschland erreichen. Zusammen mit anderen Maßnahmen im Zug-, Bus- und Radverkehr werden sie einen Beitrag leisten, die Mobilität umweltfreundlicher darzustellen. Aber auch 2030 und darüber hinaus werden Verbrennungsmotoren so vielfältige Vorteile haben in der Nutzung, aber auch in den Gesamtkosten, dass die deutliche Mehrheit der Fahrzeuge darüber verfügt. Daher ist es mehr als lohnend, den Verbrennungsmotor insbesondere bezüglich seiner Emissionen weiter zu entwickeln und den höchsten Standard an Know-how in Großindustrie und Mittelstand zu behaupten.
Daberkow: Ich kann mich an eine Zeit erinnern, wo man detaillierte Prognosen für die nächsten fünf Jahre erstellt hat. Wenn man diese dann fünf Jahre später gelesen hat... Meine Überzeugung ist: Wenn wir nicht konsequent Weichen in die Richtung Elektromobilität stellen, laufen wir Gefahr, dass die heimische Automobilindustrie deutlich an Gewicht verliert. Zum Glück haben das viele in Deutschland heute erkannt. Unsere Städte, aber auch das gesamte Land werden davon profitieren, indem wir erheblich klima- und umweltfreundlicher individuelle Mobilität mit Fahrspaß leben werden.
Info-Grafik:Antriebsarten der Pkw in Deutschland (PDF)
Zur Person
Dr. Andreas Daberkow, Jahrgang 1960, arbeitete nach dem Maschinenbau-Studium an der Universität Duisburg und der Promotion über CAD-gestützte Modellierung von Mehrkörpersystemen an der Universität Stuttgart, ab 1993 bei der Daimler AG, unter anderem als Manager IT für lektrik/Elektronikentwicklung. Seit 2009 lehrt er an der Hochschule Heilbronn im Studiengang Automotive Systems Engineering. Andreas Daberkow ist verheiratet und hat zwei Kinder.