26.09.2018

Fußgänger – Stress-Test

Ob mit Gehhilfe oder einem Kinderwagen unterwegs: An Ampeln sind Grünphasen für Fußgänger oft zu kurz bemessen. Um Städte für Fußgänger sicherer zu gestalten, braucht es neue Ansätze.

Kaum ist die Ampel auf Rot umgesprungen, staut sich der Verkehr zurück. Grüne Welle ade. Erst recht, wenn es sich „nur“ um eine Fußgängerampel handelt. Querende Fußgänger werden von manchem Autofahrer offenbar als Hindernis angesehen, die vehementen Starts beim Umschalten auf Rot-Gelb sprechen Bände. Doch Fußgänger sind gleichberechtigte Teilnehmer am Straßenverkehr. Auch, wenn sie langsamer sind. „Busse und Straßenbahnen sind viel komfortabler geworden, seit man zum Aussteigen keine hohen Stufen mehr überwinden muss“, lobt Rita Thaler die Verbesserungen im öffentlichen Nahverkehr. „Doch wenn ich eine Ampel überqueren muss, wird es manchmal stressig.“

Wie lang eine Ampel grün ist, hängt von der Straßenbreite ab

Wie lange eine Ampel den Weg freigibt, hängt von der Straßenbreite ab – und von der Annahme, wie schnell die Fußgänger sind. Zumindest muss sichergestellt sein, dass Fußgänger die halbe Straßenbreite passiert haben, bis die Ampel wieder umspringt. Danach gibt es noch die Räumzeit zwischen dem Umschalten auf Rot für Fußgänger und der freien Fahrt für den motorisierten Verkehr. Die derzeit gültigen Richtlinien für Lichtsignalanlagen veranschlagen hier eine Gehgeschwindigkeit zwischen einem und eineinhalb Meter pro Sekunde.

In der Innenstadt sind Grünphasen für Fußgänger kürzer

Die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen zeigt sich zuversichtlich, dass diese Werte realistisch sind: „Mit einem Meter pro Sekunde werden auch die Älteren und Mobilitätseingeschränkten berücksichtigt.“ Doch ist das wirklich so? Immerhin liegt der Regelwert für die Räumgeschwindigkeit bei 1,2 Meter pro Sekunde. Im Innenstadtbereich dürften die Grünphasen eher noch kürzer gehalten sein, um die Autoschlangen nicht zu lang werden zu lassen. Nach Einschätzung des ACE gerät die Bedeutung des Fußverkehrs oft in Vergessenheit, da unsere Stadt- und Verkehrsplanung nach wie vor stark fahrzeugorientiert ist.

Vor zwei Jahren haben Heinz und Elsa Wegner ihre Wohnung in einer Wohnanlage für Senioren bezogen. Ein Rollator erleichtert Frau Wegner längere Wege, ihr Mann nutzt wegen eines schmerzenden Knies einen Stock. Mit diesen Hilfsmitteln bleiben sie mobil. Für den Weg in die Stadt befindet sich die Bushaltestelle in Sichtnähe. Eine Fußgängerampel mit langer Grünphase sorgt für eine sichere Passage der Straße. „Überall wird von Barrierefreiheit gesprochen, doch in der Innenstadt sind die Ampelphasen für Fußgänger nicht länger geworden“, gibt Heinz Wegner zu bedenken.

In der Nähe von Altersheimen zeigen Ampeln länger grün

Sein Eindruck trügt nicht. Der Fachverband Fußverkehr Deutschland gibt an, dass Räumzeiten mit längerer Grünphase eher dort realisiert werden, wo das Aufkommen an Senioren oder Menschen mit Behinderung hoch ist. Also eher vor Altenheimen als an belebten City-Kreuzungen. Auch Siegfried Brockmann von der Unfallforschung der Versicherer kennt die Praxis. „Menschen, die geh- oder sehbehindert sind, sind oftmals langsamer und schaffen nur etwa 80 Zentimeter pro Sekunde. Zudem benötigen Fußgänger eine Reaktionszeit von etwa zwei bis drei Sekunden, um loszulaufen, wenn sie Grün bekommen.“ An Ampeln, die für Blinde oder Sehbehinderte ausgerüstet sind, wird deshalb länger Grün angezeigt.

ACE fordert attraktive Infrastruktur auch für Fußgänger

Warum nicht auch anderswo? Seit Jahren wächst der Anteil älterer Menschen stetig an – Verkehrsteilnehmer, die sich ihre Mobilität erhalten wollen und darin unterstützt werden sollten. Für den ACE ist es von größter Bedeutung, für Fußgänger wie für Radfahrer eine attraktive Infrastruktur zu schaffen. Der Mobilitätsbegleiter ACE fordert deshalb, dass Fußgänger die maximal mögliche Grünzeit, bezogen auf das parallele Autogrün, erhalten sollen.

In anderen Ländern hat man bereits gute Erfahrungen mit Alles-Grün-Schaltungen gemacht, die auch ein diagonales Überqueren der Kreuzung erlauben. Die dafür erforderliche Zeit geht allerdings zulasten längerer Rotphasen für Autos, Busse und Lkw. Fragwürdig dagegen ist das Düsseldorfer Modell mit Grün-Gelb-Rot-Schaltung, die Fußgänger irritieren kann.

Zebrastreifen oder Querungshilfen sind Alternativen zur Ampel

Nicht jeder Übergang indes muss als Ampel ausgelegt sein. Zebrastreifen haben sich – an den richtigen Stellen eingerichtet – zum sicheren Passieren einer Straße bewährt. Nicht zuletzt können Querungshilfen dafür sorgen, die andere Straßenseite sicher zu erreichen. Zwar haben Fußgänger hier keinen Vorrang gegenüber dem motorisierten Verkehr, doch muss man sich bis zum Erreichen der Verkehrsinsel auch nur auf eine Fahrspur konzentrieren.

Dr. Bernhard Schlag, Professor für Verkehrspsychologie an der TU Dresden, weiß, dass für in ihrer Beweglichkeit eingeschränkte Menschen jeder Meter zählt, der nicht gegangen werden muss. Bei einem Umweg von mehreren hundert Metern bis zum nächsten Überweg ist es verständlich, dass gerade ältere Menschen das Risiko auf sich nehmen, die Straße auch an ungeschützten Stellen zu überqueren. „Langfristig brauchen wir Überwege, die dem Gehverhalten entsprechen. Manche Städte haben das schon umgesetzt und sie profitieren davon: Wo man flanieren kann, hält man sich gerne auf.“