01.05.2016

Telematik-Tarife – Köder für junge Autofahrer

Die Statistik ist zu Ende, nun wird real gemessen. Künftig entscheidet bei einigen Autoversicherern der Fahrstil über die jährliche Prämie. Die neuen Tarife richten sich dabei vor allem an Fahranfänger.

Mit Allianz und HUK-Coburg starten gleich zwei große Autoversicherer in das Zeitalter der Telematik-Tarife und locken mit Nachlässen. Verbraucherschützer befürchten, dass Autofahrer, die ihre Daten nicht preisgeben, künftig deutlich höhere Prämien zahlen müssen.

Per Black Box oder App werden die Daten übermittelt

 

"Bonus Drive" heißt der neue Telematik-Tarif der Allianz-Autoversicherung. Autofahrer können sich durch einen passiven Fahrstil einen ordentlichen Nachlass erfahren. Den neuen Tarif für junge Fahrer bis 28 gibt es seit April in den Allianz-Agenturen. Ähnliche Angebote hat etwa die Axa Versicherung mit "DriveCheck". Für jedermann haben die VHV aus Hannover den Tarif "Telematik Garant", die Itzehoer Versicherung "Secure Drive" und Admiral Direkt die "Telematik Spar Option" auf den Markt gebracht. Die Systeme funktionieren entweder mit einer fest im Fahrzeug installierten Black-Box, einem Stecker, der im Zigarettenanzünder installiert wird oder nur per Handy-App. Oft gibt es auch eine Kombination aus App und Hardware.


Eine Black-Box testet der größte private Autoversicherer, die HUK-Coburg, derzeit bei rund 1000 Pilotkunden. Diesen Sommer soll der Telematik-Tarif dann für junge Autofahrer bis 28 auf den Markt kommen. Bei der Allianzversicherung gibt es statt Black-Box eine App mit einem Stecker. "Der Stecker ist eine reine Bluetooth-Quelle, damit das Handy weiß, dass es im versicherten Fahrzeug ist", erläutert Susanne Seemann, Pressesprecherin der Allianz. Die Handy-App wird also kabellos per Bluetooth-Funk an das Handy gekoppelt. Die Daten werden aber nach Aussage der Allianz nur von der App aufgezeichnet und an den externen kanadischen IT-Dienstleister IMS gesendet. Die Sendung muss nicht sofort erfolgen, sondern kann auch erst im nächsten stationären WLAN übertragen werden, wenn der Nutzer das so einstellt.

Das gesamte Fahrverhalten fließt in die Bewertung

 

"Die Allianzversicherung erhält nur die Punktewerte des Kunden, aus der sich sein Fahrstil ergibt", so Seemann. Sie weiß somit nicht, wann oder wo gefahren wurde.  Gemessen werden Geschwindigkeit, Bremsverhalten, das Beschleunigungs- und Kurvenfahrverhalten. Dabei kommt es auf das gesamte Fahrverhalten auf den alltäglichen Strecken an. Seemann: "Wer stark bremsen muss, weil ein Hund über die Straße läuft, braucht keine Angst zu haben, dass das als aggressives Fahrverhalten negativ ausgelegt wird. Dieser einzelne Vorgang verliert aufgrund der Vielzahl der Messereignisse für die einzelne Fahrt an Bedeutung."


Überraschenderweise gehen aber auch Fahrtzeit und Straßenart in die Note ein. Daher dürfte den Höchstrabatt – bis zu 37 Prozent - kaum ein junger Fahrer erreichen. "Die genaue Bewertung erfolgt im Hintergrund und wird nicht herausgegeben", heißt es bei der Allianz.

Höchstrabatt zu erreichen ist schwierig

 

Ganz offen ist hingegen die VHV, wenn es um das Fahrstil-Ranking geht. Hier fließen die gefahrene Geschwindigkeit, das Beschleunigungs- und Bremsverhalten zu jeweils zehn Prozent in die Bewertung ein. Mit jeweils fünf Prozent sind die Fahrzeit und der benutzte Straßentyp entscheidend. Nur Land- und Bundesstraßen sind negativ bewertet. Leider gilt dies auch für Fahrten im Berufsverkehr. So dürfte es wohl auch bei der VHV schwer werden, den Höchstrabatt von 30 Prozent zu erreichen.


Einfacher scheint da das System der Axa. Hier müssen die Kunden nur in zwölf Wochen 600 Kilometer zurücklegen und 40 Einzelfahrten messen lassen. Das System benötigt überhaupt keine zusätzliche Installation im Fahrzeug, sondern funktioniert allein über die App Axa Drive. Wer passiv fährt, kann bis zu 15 Prozent Nachlass auf seine Autoversicherung erhalten. Kunden, die nur sparen wollen, sollten unbedingt einen allgemeinen Preisvergleich am Markt machen. Ein hoher Rabatt von einer hohen Prämie lohnt sich meist nicht.

Versicherer rechnen mit weniger Schäden durch Überwachung

 

Die Versicherer hoffen, dass Kunden, die sich freiwillig überwachen lassen, ihren Fahrstil verbessern. "Gerade für junge Fahrer ein faires Angebot", glaubt Allianzvorstand Frank Sommerfeld. Auch der Pionier der Telematik, die S-Direkt aus Düsseldorf, die seit 2014 rund 1000 Black-Boxen an Kunden vermittelt hat, rechnete mit einem Rückgang der Schäden dank defensiverem Fahrstil um zwanzig Prozent. Bei einem Höchstrabatt von fünf Prozent wäre das ein gutes Geschäft gewesen. Doch scheinbar hat sich die Prognose nicht verwirklicht. Bis heute schweigt die S-Direkt zu Schadendaten.


Experten, wie Marco Morawetz von der Kölnischen Rückversicherung, halten wenig von Telematiktarifen. "Sie rechnen sich in Deutschland nicht, weil hier das Risiko der Autofahrer durch sehr differenzierte Risikokriterien bereits sehr genau erfasst wird." Negativ sind sogar die Erfahrungen im Ausland. "Die jungen Fahrer bis 23 Jahren mit und ohne Box verursachen die gleichen Unfallkosten", stellt Gothaer-Chef Karsten Eichmann ernüchternd fest.

Verbraucherschützer sehen Telematik-Tarife kritisch

 

Datenschutzrechtlich sind die Versicherer mittlerweile gut aufgestellt. Bereits die S-Direkt hatte zwischen Datenerhebung und Tarifierung eine "chinesische Mauer" errichtet. Die Rohdaten gehen bei den Versicherern immer an externe Dienstleister, die dann nur noch Punktwerte an den Versicherer weiterreichen. Das System wurde bisher von Datenschützern immer akzeptiert. Anders sieht es aber beim Verbraucherschutz aus. Sollten Telematik-Tarife üblich werden, dann könnte es für alle Autofahrer, die sich nicht in die Karten schauen lassen, teurer werden, fürchtet die Verbraucherzentrale Bayern. Ähnlich sieht man das beim Bund der Versicherten (BdV) in Henstedt-Ulzburg. "Es werden wohl nur diejenigen Autofahrer ihre Daten preisgeben, die gut und vorsichtig fahren", schätzt BdV-Sprecherin Bianca Boss. Die anderen wären dann automatisch die schlechten Fahrer.

Weiterführende Informationen
Tabellarische Übersicht über alle angebotenen Telematik-Tarife (PDF)