Sie bekleiden beim Volkswagen Konzern als Chefstratege eine Position, die es vorher in Wolfsburg nicht gab. Welche Fäden laufen bei Ihnen zusammen?
Mit unserem Zukunftsprogramm „TOGETHER – Strategie 2025“ haben wir im Volkswagen Konzern den größten Veränderungsprozess unserer Geschichte angestoßen. Wir transformieren das heutige Kerngeschäft, bauen neue Mobilitätsdienste als weitere Säule auf, stärken unsere Innovationskraft insbesondere im Bereich der Digitalisierung, und arbeiten intensiv an der Sicherung unserer Finanzierung für den Wandel. Indem wir parallel auf diesen vier Handlungsfeldern unterwegs sind, schaffen wir die Voraussetzungen, um auch in der Mobilitätswelt von morgen nachhaltig erfolgreich zu sein. Die Vision, die uns dabei leitet, ist es, bis zum Jahr 2025 zu einem der weltweit führenden Anbieter nachhaltiger Mobilität zu werden. Als Leiter der Konzernstrategie ist meine Hauptaufgabe, gemeinsam mit meinem 60-köpfigen Team, die vielfältigen strategischen Fragestellungen des Volkswagen Konzerns bei dieser Neuausrichtung zu steuern und zu orchestrieren. Dies geschieht natürlich in enger Abstimmung mit den einzelnen Marken des Konzerns sowie den jeweiligen Funktionalbereichen.
Volkswagen ist nach dem Abgasskandal in einem Prozess sich neu zu erfinden. Im vergangenen Sommer stellte der Vorstandsvorsitzende Matthias Müller die Strategie 2025 vor. Was ist inzwischen geschehen?
Volkswagen hat mit seinen Marken und Fahrzeugen seit jeher das Leben vieler Millionen Menschen überall auf der Welt geprägt. Unser Anspruch ist es, diese Erfolgsgeschichte – auch nach dem schweren Schlag der Diesel-Krise – fortzusetzen, in einer Branche, die sich gerade radikal verändert. Mit „TOGETHER – Strategie 2025“ wollen wir auch die Mobilität für künftige Generationen maßgeblich mitgestalten. Dazu haben wir 16 übergreifende Konzerninitiativen auf den Weg gebracht. Wir arbeiten beispielsweise daran, die Konzernmarken trennschärfer zu positionieren, unser Fahrzeug- und Antriebsportfolio neu auszurichten, das Thema Elektromobilität offensiv nach vorne zu bringen und das Geschäftsfeld der neuen Mobilitätslösungen mit Hochdruck auszubauen. In den vergangenen Monaten gab es viele konkrete Beispiele, die zeigen, in welche Richtung Volkswagen geht: Im Dezember 2016 etwa haben wir mit MOIA unser neues Unternehmen für Mobilitätsdienste gelauncht. In China haben wir ein Joint-Venture mit dem E-Autohersteller JAC angestoßen.
Sie sind mutig: Im Jahr 2016 hat der Konzern 13.433 Elektroautos verkauft. Laut Strategie 2025 sollen in acht Jahren jährlich eine Million elektrische VW-Modelle und konzernweit bis zu drei Millionen E-Fahrzeuge an den Kunden gebracht werden. Eine hohe Messlatte, wie wollen Sie das erreichen?
Richtig ist: Wir haben uns zum Ziel gesetzt, dass in 2025 rund 25 bis 30% unseres Fahrzeugabsatzes auf Elektroautos entfallen. Dafür stellen wir alle nötigen Weichen. Zurzeit entwickeln wir unter Führung der Marke Volkswagen Pkw den modularen Elektrifizierungsbaukasten (MEB), auf dem wir eine ganze Reihe von ganz unterschiedlichen Modellen aufsetzen können. Etwa der Volkswagen I.D., ein kompaktes aber sehr geräumiges Auto mit bis zu 600 km Reichweite. Bis 2025 wollen wir konzernübergreifend über 30 neue, rein elektrisch angetriebene Modelle auf die Straße bringen. Natürlich müssen, um die Kunden vom Elektroauto überzeugen zu können, neben dem Angebot und dem Preis auch Reichweite und Ladeinfrastruktur den Bedürfnissen entsprechen. Deshalb beschäftigen wir uns intensiv mit dem Thema Batterietechnologie. Porsche und Audi haben gerade mit anderen OEMs ein Joint Venture für Schnellladestationen entlang von Autobahnen gegründet.
„Die Verschärfung der Emissionsgesetze wird den Umbruch beschleunigen“
Viel Zeit bleibt nicht, alle Kunden davon zu überzeugen, dass ihr nächstes Auto an der Steckdose tankt. Wie wollen Sie die Skeptiker zu diesem Schritt bewegen?
Ich kenne niemanden, der, nachdem er selbst einmal E-Golf gefahren ist, nicht fasziniert wäre angesichts der Beschleunigung und Dynamik. In dem Maße, in dem der Preis sinken und die Reichweite, sprich Alltagstauglichkeit, steigen wird, werden mehr und mehr Menschen auf die E-Mobilität umsteigen. Die Verschärfung der Emissionsgesetzgebung im Jahr 2020 wird den Umbruch wesentlich beschleunigen. Für uns als Industrie ist die E-Mobilität eine unverzichtbare Säule um die dann geltenden, strengeren CO2-Ziele zu erreichen. Hinzu kommt, dass durch strengere Grenzwerte konventionelle Antriebe, vor allem der Dieselmotor, immer aufwendiger und teurer werden. Ich denke, dass wir spätestens 2023 den Wendepunkt in Richtung E-Mobilität sehen werden. Ein Elektrofahrzeug wird dann gleich viel kosten wie ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor, das die zu diesem Zeitpunkt geltenden CO2-Richtlinien einhält.
Der Volkswagen-Konzern bietet seine Fahrzeuge weltweit an. Welche Märkte haben Sie beim Absatz der großen Menge an Elektroautos besonders im Blick?
China ist eindeutig der Nummer-Eins-Markt in Sachen Elektromobilität. Dann kommen natürlich Europa und die USA. In den USA werden, je nach Region, sehr große Autos weiterhin Bestand haben. Die E-Mobilität wird aber auch vor SUVs keinen Halt machen. An dieser Stelle möchte ich jedoch auch festhalten, dass Fahrzeuge mit neuen, stark verbesserten Verbrennungsmotoren in etlichen Kundensegmenten und vielen Ländern, wie z.B. in Indien, immer noch in großen Stückzahlen gebraucht werden.
Inwieweit beeinflusst die Politik von US-Präsident Trump Ihre Arbeit?
Man darf Investment und Produkte nicht nur von der (Tages-)Politik abhängig machen. Als Unternehmen haben wir immer wieder mit politischen Veränderungen auch in anderen Märkten zu tun. Wenn Sie zum Beispiel ein Werk planen, dann ist das ein langfristiger Prozess. Russland beispielsweise hat momentan ein schwieriges Marktumfeld. Deshalb können wir nicht alle Pläne umwerfen und uns zurückziehen – wir tragen in unseren Märkten auch eine Verantwortung für Mitarbeiter, Partner und Gesellschaft.
Das heißt, Chinas Pläne, eine Elektroauto-Quote einzuführen, tangieren Sie auch nicht sonderlich?
China hat diesen Weg eingeschlagen, um unabhängiger zu werden von Rohölimporten und um den eigenen Elektromobilitätsmarkt zu etablieren. Aber noch gibt es keine klare Vorgabe für zukünftige Regelungen. Generell begrüßen wir die Wende zur E-Mobilität, die die chinesische Regierung mit großem Kommittment vorantreibt. Als Konzern haben wir bereits eine zukunftsweisende Offensive im Bereich Elektromobilität auf den Weg gebracht: In den nächsten zwei bis drei Jahren werden wir insgesamt 15 neue, lokal produzierte New Energy Vehicles (sprich Plug-In Hybride und rein batteriebetriebene Fahrzeuge) in China auf den Markt bringen. China wird für den Volkswagen Konzern einen erheblichen Beitrag zur Erreichung der E-Mobilitätspläne leisten.
Ihr Konzeptfahrzeug I.D. mit 600 Km Reichweite ist für 2020 angekündigt. Ist das nicht zu spät? Der Mitbewerber Opel liefert seinen Ampera-e noch in diesem Jahr an seine Händler.
Der Volkswagen Konzern ist im Bereich der alternative betriebenen Fahrzeuge heute bereits gut aufgestellt. Wir bieten unseren Kunden eine ganze Reihe von Plug-In Hybriden in vielen Segmenten. Bei den rein elektrisch betriebenen Fahrzeugen haben wir im Volumenbereich jetzt schon den E-Golf und den E-up von VW im Angebot. Audi und Porsche ziehen ab 2019 bzw. 2020 ebenfalls nach. Der I.D. der Marke Volkswagen wird eine neue Ära der E-Mobilität einläuten. Er wird das erste Fahrzeug sein, das auf unserem MEB basiert, bis zu 600 Kilometer Reichweite haben und preislich auf dem Niveau eines Golf TDI liegen.
Der Markt ist im Wandel, neue unbekannte Anbieter kommen auf. Wie können Sie sicher sein, dass der Volkswagen Konzern da an der Spitze bleibt?
Mein Job verlangt es, manchmal ein bisschen „paranoid“ zu sein. Wir können nie sicher sein, an der Spitze zu bleiben. Wir arbeiten aber kontinuierlich daran, besser zu sein als die anderen. Durch die geringere Komplexität beim Elektroautobau können neue, branchenfremde Anbieter leichter auf den Markt drängen. Bei einer Stückzahl von vielleicht 20.000 funktioniert das auch gut. Ab einer Stückzahl von 100.000 Autos benötigt man aber eine andere Infrastruktur. Mit der können wir punkten, weil wir seit Jahrzehnten wissen, wie man große Stückzahlen in bester Qualität überall auf der Welt fertigt. Darüber hinaus sind auch E-Fahrzeuge sehr kapitalintensiv. Man braucht fünf bis zehn Prozent Marktanteil, um Geld zu verdienen und mindestens drei Produkte, um den Markt und seine Grundbedürfnisse bedienen zu können. Wenn Sie so wollen: Man braucht die kritische Masse. Und die hat keiner so wie der Volkswagen Konzern, der 10 Millionen Fahrzeuge pro Jahr baut und verkauft.
Weniger Komponenten heißt auch weniger Mitarbeiter für die Fertigung. Im Zukunftspakt der Marke VW ist vereinbart, 30 000 Arbeitsplätze weltweit abzubauen, davon alleine 23 000 in Deutschland. Wie passen die Einsparpläne und die enormen Ausbaupläne in Sachen E-Mobilität zusammen?
Wo Aufgaben entfallen, dort werden in den kommenden Jahren naturgemäß Stellen wegfallen. Zugleich benötigen wir aber rund 9.000 Mitarbeiter in Zukunftsbereichen wie Digitalisierung und Elektromobilität. Die Marke Volkswagen bietet ihren Beschäftigten vor diesem Hintergrund die Möglichkeit, sich innerhalb des Unternehmens zu verändern oder sozialverträgliche Lösungen wie Altersteilzeit. Volkswagen geht diesen Wandel, den alle Autobauer vor sich haben, sehr früh und konsequent an. Das wird sich auszahlen.
Die Orientierung hin zum Elektroauto bedeutet weitergedacht auch weniger Einnahmen für den Servicebereich der Autohäuser. Wie sieht denn das Volkswagen Autohaus der Zukunft aus?
Es ist richtig, dass bei den E-Autos gewisse Servicearbeiten wegfallen werden. Allerdings geht das nicht von heute auf morgen, und über die nächsten Jahrzehnte werden noch mehr als 70 Prozent des Verkehrsaufkommens mit Verbrennungsmotoren bestritten. Diese werden weiterhin Top-Serviceleistungen benötigen. Auf der anderen Seite werden auf die Händler auch neue Aufgaben zukommen. Sie sind oft eher am Rand der Städte verortet und damit prädestiniert, als Zwischenstation zu fungieren, wenn es einmal Einfahrverbote für die Zentren geben sollte. Die Leute könnten beispielsweise bei den Autohäusern parken und dort ihre Autos aufladen und waschen lassen, während sie mit einem Shuttle in die Stadt gebracht werden. Der Wandel in der Mobilität verlangt ein Umdenken von uns allen.
In Ihrem Konzern arbeiten 1.300 Designer aus 45 Nationen am Auto der Zukunft. Wie wichtig ist das Design in der Entwicklung von E-Autos?
Für viele Menschen sind Autos nach wie vor pure Emotion. Insofern spielte Design schon immer eine große Rolle bei der Kaufentscheidung. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Niemand will ein hässliches Auto. Jeder will ein Auto, das dem eigenen Ästhetik-Empfinden entspricht. Im Premium- und Luxussegment ist dieses eher ein weltweit homogenes Bild. Bei den Volumenmodellen bedarf es hingegen vieler verschiedener sowie auch regional angepasster Designs. Bei der E-Mobilität gibt es durch die neue technische Architektur zukünftig viel mehr Spielraum und Gestaltungsmöglichkeiten.
Die Autobranche steht vor einem tiefgreifenden Wandel – nicht nur bei den Antriebsarten. Was plant der Volkswagen Konzern bei den Themenfeldern autonomes Fahren und Digitalisierung?
Das Auto der Zukunft fährt elektrisch, in einigen Jahren auch autonom. Wir wollen die bestmögliche Nutzererfahrung für unsere Produkte und Services schaffen – konzernweit und markenübergreifend. Das heißt: Wir arbeiten daran, die digitale Lebenswelt unserer Kunden nahtlos ins Auto zu integrieren. Dazu brauchen wir digitale Lösungen, die Maßstäbe setzen. Und im Grunde ist dabei alles möglich. Kennen Sie Alexa, die Sprachassistentin von Amazon? So ähnlich wird es das in Zukunft auch im Auto geben. Das Auto wird den Fahrer auch bei den alltäglichen Dingen unterstützen, wie bei der Parkplatzsuche, beim Parkplatz-Ticket ziehen oder beim Bezahlen. Für unsere Kunden werden wir ein durchgängiges digitales Ökosystem entwickeln, das autonome Fahren vorantreiben und uns als Mobilitätsanbieter etablieren. Da entsteht eine ganz neue Welt an Möglichkeiten.
„Entscheidend ist, dass wir intern Know-how in Sachen Batterie haben“
Ein hoher Teil der Wertschöpfung im Elektroauto entfällt auf die Batteriekomponenten. Wann werden Sie Ihre Akkus selbst produzieren?
Die Batteriezellenfertigung ist sehr kapitalintensiv und weltweit gibt es nur ein paar Unternehmen, die das wirklich können. Wir machen die Batterietechnologie zu einer Kernkompetenz des Konzerns und schauen uns die gesamte Prozesskette an. Um Erfahrungen in der Batterieherstellung zu erhalten, starten wir einen Piloten im Werk Salzgitter. Ob eine komplette Inhouse-Produktion sinnvoll ist, werden wir sehen. Das Entscheidende ist aber, dass wir intern das Know-how in Sachen Batterie haben. Die Batterie ist das Herzstück der E-Mobilität. Sie wird in Zukunft ähnlich wichtig und differenzierend werden, wie es der Verbrennungsmotor heute ist.
Können Sie sich vorstellen bei Volkswagen in Zukunft nur E-Autos zu bauen?
Definieren Sie „Zukunft“. Ich glaube, dass wir als Volkswagen Gruppe immer mehr bauen werden als nur Elektrofahrzeuge. Wir haben ja auch Busse und Lkw im Angebot. Und wer weiß, vielleicht bauen wir in Zukunft auch einmal Fluggeräte, mit denen die Menschen autonom oder selbst durch die Luft fliegen. Eines steht fest: Wir werden immer ein Konzern der Vielfalt sein.
Als Matthias Müller das Ruder beim Konzern übernahm, versprach er lückenlose Aufklärung und Offenlegung aller Fakten zum Abgasskandal. Jetzt hat sich der Konzern dagegen entschieden, die Ermittlungsergebnisse der unabhängigen Kanzlei Jones Day zu veröffentlichen. Warum wird der Bericht unter Verschluss gehalten?
Es gibt ja das Statement of facts, da steht alles Wichtige drin. Wir haben zurzeit noch viele schwebende Verfahren, weshalb ein weiteres Kommentieren dieser Frage leider nicht möglich ist.
Nahezu zeitgleich mit Ihnen ist Christine Hohmann-Dennhardt in den VW-Vorstand berufen worden. Sie sollte als Sittenwächterin die Abwicklung des Skandals begleiten. Nun hat sie wegen Meinungsverschiedenheiten den Konzern schon wieder verlassen. Ist das eine Folge restriktiver Informationspolitik?
Frau Christine Hohmann-Dennhardt ist zwar gegangen, der Posten aber bleibt. Mit Hiltrud Werner wurde die Stelle intern neu besetzt. Sie soll nun weiterhin die Vorgänge im Konzern kontinuierlich beobachten.
Ihr Abgang wird durch eine Abfindung in zweistelliger Millionenhöhe versüßt. Wie erklären Sie das einem VW-Mitarbeiter, der um seinen Arbeitsplatz besorgt ist?
Vertrag ist Vertrag und bei Volkswagen werden Verträge immer eingehalten. Wenn diese Summe vorher vereinbart wurde, dann kann man daran nichts mehr ändern.