Samstag, 7. Dezember, 16.30 Uhr. Ein BMW fährt ausgerechnet auf der Friedenstraße in Duisburg deutlich zu schnell. An der Ampel zeigt ein junger Subarufahrer dem Raser einen „Vogel“. Daraufhin steigt der Mann aus und versucht den 22-Jährigen zu schlagen. Der zieht eine Gaspistole. Darauf lässt der rund 35-Jährige von dem Fahrer ab. Bevor er fährt, droht er: „Ich suche, finde und töte dich.“ Ein extremes Beispiel. Doch heftige Streitereien sind längst kein Einzelfall mehr. Wer nach den Stichworten „Streit im Straßenverkehr“ googelt, erhielt Ende Februar über 600.000 Treffer.
Aggressives Fahren ärgert die Mitmenschen und kann zu schlimmen Unfällen führen
In einer Allensbach-Umfrage beklagten im vorigen Jahr 90 Prozent der befragten 30- bis 59-Jährigen ein zunehmend raues Klima im Verkehr. „Viele Unfälle entstehen aus Verkehrsverstößen, die eng mit Aggression verbunden sind“, sagt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV). Auf Delikte wie deutliche Geschwindigkeitsüberschreitungen, riskantes Überholen, Schneiden und dichtes Auffahren entfielen rund ein Drittel aller von Pkw verursachten Unfälle mit Getöteten. Mit Zuckerbrot und Peitsche will man künftig der Aggression im Straßenverkehr Herr werden. So soll es härtere Strafen auch für „Alleinraser“ geben. Die Täter sollen Chancen durch Nachschulungen erhalten. Und junge Menschen will man intensiver über die tödlichen Folgen von Rowdytum auf der Straße aufklären.
Härtere Strafen sollen Raser und Poser abschrecken
Experten sagen aber auch: Wir brauchen einen gesellschaftlichen Wandel. Jeder kann Vorbild sein! Um das „Wildwest“ auf deutschen Straßen einzudämmen, fordern die Experten des diesjährigen Gerichtstages in Goslar, dass die Führerscheinbehörden im ganzen Bundesgebiet Einblick in das Bundeszentral- und Erziehungsregister erhalten. Gibt es Hinweise auf „aggressive Straftaten“, sollen sie mittels Medizinisch-Psychologischer Untersuchung (MPU) – im Volksmund „Idiotentest“ – die Fahreignung überprüfen. „Gleichzeitig müssen wir die Straftat Fahrzeugrennen im Gesetz noch deutlicher für rücksichtslose Alleinraser darstellen“, sagt der Fachanwalt für Strafrecht, Philipp Schulz-Merkel, aus Nürnberg. Diese Forderung fand auf dem Verkehrsgerichtstag volle Zustimmung und wurde Teil der Expertenempfehlung. „Und wer laut im Kreis mit goldenen Sportwagen herumfährt, soll künftig ein Bußgeld und Punkte in Flensburg erhalten“, erläutert die Vizepräsidentin und Oberstaatsanwältin Birgit Heß. Der neue Tatbestand soll „aggressives Posen“ heißen.
Vor allem junge Menschen sollen erreicht werden
Ein weiteres Problem griff in Goslar Ernst Klein, Erster Polizeihauptkommissar aus Köln, auf: „Illegale Rennen nehmen zu, weil Renn-Videos im Netz in Windeseile kursieren und dort regelrecht gehypt werden.“ Eine soziale Ächtung dieses falschen Verhaltens fände nicht statt. Wer sich selbst überzeugen möchte, was viele junge Menschen „inspiriert“, kann beispielsweise auf Youtube bei „Life of Danny“, der mehr als 100.000 Abonnenten hat, ein illegales Straßenrennen aus Brasilien sehen, bei dem ein Sportwagen auf stark befahrener Autobahn Motorräder „jagt“. Ein Kommentar von Danny: „Mann, Alter, 270, 280 in der Kurve.“ Der Praktiker Klein fordert daher, die Prävention zu verbessern: „Wir müssen ganz intensiv mehr junge Menschen erreichen.“
Respektvoll miteinander umgehen – nicht nur im Straßenverkehr
Die Lehrpläne aller Schulformen sollen deshalb künftig auch das Thema Aggression im Straßenverkehr behandeln, so der Appell der Experten aus Goslar. Und Unfallforscher Brockmann rät zudem zu einer gesamtgesellschaftlichen Diskussion. „Wir müssen anders miteinander umgehen – in der Gesellschaft allgemein, aber auch im Verkehr.“
Was der ACE fordert
„Aggressivität hat im Straßenverkehr keinen Platz! Deshalb unterstützen wir die Empfehlung, bestehende gesetzliche Möglichkeiten zur Reaktion auf aggressives Verhalten konsequenter auszunutzen“, erklärt Stefan Heimlich, Vorsitzender des ACE. Der Club fordert zudem einen Mentalitätswechsel bei allen Verkehrsteilnehmenden: mehr gegenseitige Rücksichtnahme und mehr Respekt. Stefan Heimlich betont: „Alle gemeinsam statt gegeneinander!“
Themen und Ergebnisse des Verkehrsgerichtstages in Goslar
Der ACE war mit Experten in Arbeitskreisen des Verkehrsgerichtstags in Goslar vertreten, der wegweisend Themen rund um Verkehrsrecht und Verkehrssicherheit erörtert und der Politik beratend zur Seite steht.
- Für schnelleres Abwickeln: Die Forderung der Experten aus Goslar, die verpflichtende Beteiligung der Staatsanwaltschaft im Zwischenverfahren abzuschaffen, begrüßt der ACE. Hannes Krämer, leitender Justiziar des ACE, erklärt dazu: „Das Resultat der Abschaffung einer obligatorischen Beteiligung der Staatsanwaltschaft im Zwischenverfahren wären effizientere, schnellere Verfahren.“ Konkret: Ein Verstoß und dessen Ahndung würden zeitlich enger zusammenrücken. Die Akzeptanz der Sanktion, etwa des Bußgeldes oder Fahrverbotes, würde zunehmen. Auch die durch die Verkehrsrechtsexperten empfohlene Kodifizierung der Anforderungen an standardisierte Messverfahren und das geforderte Einsichtsrecht in alle Daten und Messunterlagen begrüßt der ACE. Jurist Hannes Krämer konkretisiert: „Transparenz schafft Akzeptanz.“
- Sicherheit für eKFZ erhöhen: Fahrer von eKFZ (Elektrokleinstfahrzeugen) wie E-Scootern kennen oft die geltenden Regeln nicht. Die Verkehrsexperten aus Goslar wollen hier Transparenz durch mehr Öffentlichkeitsarbeit erreichen. Dazu soll der Ausbau von geeigneten Verkehrswegen angekurbelt werden. Damit folgt der zuständige Arbeitskreis „Elektrokleinstfahrzeuge“ des Deutschen Verkehrsgerichtstags in Goslar einer ursprünglichen Forderung des ACE. Der Club hatte sich in einem vorausgegangenen Forderungspapier für einen massiven, schnellen und dringend notwendigen Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur ausgesprochen. Auch sieht der ACE die Notwendigkeit, darüber hinaus eKFZ mit Fahrtrichtungsanzeigern auszurüsten, denn das Heben der Arme für Handzeichen kann die Fahrstabilität beeinträchtigen. Der ACE konnte hier überzeugen.
- Neue Wege für Beginner: Die Fahrausbildung muss modernisiert werden, um junge Menschen zu erreichen und ihnen zeitgemäß Fahr- und Fachkompetenz zu vermitteln. Darin sind sich die Experten einig. Der ACE bekräftigt seine Forderung, den Fahrkompetenzerwerb zu einem ganzheitlichen System der Begleitung von Fahranfängern weiterzuentwickeln. So empfehlen die Experten aus Goslar ein Optionsmodell für Fahranfänger, das nach dem Erwerb der Fahrerlaubnis greift. Es sieht eine generelle Verlängerung der Probezeit auf drei Jahre vor. Diese kann auf bis zu zwei Jahre reduziert werden – bei freiwilliger Teilnahme an Schulungsmaßnahmen und beziehungsweise oder bei Teilnahme am begleiteten Fahren. Das, so die Forderung, sollte auch für volljährige Fahranfänger geöffnet werden, die Begleiterregelungen sollen einfacher werden.