Eigentlich sollte die Zukunft schon angekommen sein: Pkw, die vollautomatisch im Stau mitfahren oder bei Tempo 180 selbstständig die Spur wechseln. Fahrerlose Kleinbusse, die Kinder einsammeln und an der Schule absetzen, intelligente Taxen, wie von Uber und Co.: Autonome Fahrzeuge waren dabei, voll durchzustarten – glaubt man den Herstellern und einigen Branchenexperten.
Autonomes Fahren – Gesetze bremsen noch die Entwicklung
Doch neuerdings regiert Ernüchterung: Der Gesetzgeber verweigert serienreifen Autonomie-Funktionen, wie Autobahn-Assistenten, die im Verkehrsstrom mitschwimmen oder selbstständig die Spur wechseln können, die Freigabe, Start-ups aus dem Silicon Valley stoppen Erprobungsfahrten. Nach einigen schweren – teils auch tödlichen – Unfällen ist klar: Kameras und Sensoren am Fahrzeug reichen nicht aus, dieses sicher durch den Verkehr zu leiten. Das autonome Auto, das keinen aufmerksamen Menschen hinter dem Lenkrad benötigt, also Level vier (Fahrer darf sich anderen Tätigkeiten widmen) oder gar Level fünf (ohne Lenkrad oder Pedale) beherrscht, benötigt eine weitere Säule, auf die es sich stützen kann. Und diese heißt Car2X: Die automatische Kommunikation zwischen dem Auto und allem anderen, was irgendwie mit dem Straßenverkehr zu tun hat. Sie gilt als nächste wichtige technologische Innovation in der Automobil-Industrie. Car2X soll Unfälle vermeiden, Staus auflösen, Energie sparen, die Reisezeit verkürzen und den Komfort erhöhen.
Aus der Straße wird ein riesiges Funknetz
Die Vision dahinter: Jede Information zum Verkehr steht jedem Verkehrsteilnehmer sofort zur Verfügung: Rutschige Straßen, Baustellen, das nahende Auto auf der Vorfahrtsstraße, die rote Ampel, der Radfahrer voraus – irgendein Auto detektiert mit seinen Kameras oder Sensoren irgendetwas, und teilt dieses Wissen mit den anderen in der Umgebung. Technisch betrachtet steht Car2X für vier Kanäle, die den kompletten Straßenverkehr in ein gigantisches Funknetz verwandeln.
Der erste Kanal ist für die direkte Kommunikation der Autos untereinander – teilweise schon bei deutschen Premiummarken sowie Volvo in Serienmodellen möglich. Gerät etwa ein neuer Audi A6 wegen Glatteis ins Schleudern und sein ESC greift ein, sendet er in Echtzeit eine Warnung auf die Displays anderer Fahrzeuge im näheren Umkreis – wenn die ebenfalls entsprechend ausgestattet sind.
Mehr Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer durch schnellen Datenaustausch
Die anderen drei Kanäle sind für die nähere Zukunft geplant. Hierbei geht es um den Daten-Austausch mit der Infrastruktur, also Ampeln, intelligenten Schilderbrücken sowie mit einer Zentralstelle, die alle Informationen sammelt und bewertet. Dazu kommt die Kommunikation mit Verkehrsteilnehmern, die nicht im Auto unterwegs sind – schließlich führt fast jeder, ob per Fahrrad oder zu Fuß unterwegs, ein Smartphone mit sich, das anonymisiert Standort oder Bewegungsrichtung melden kann. Welche Technologie jeweils zum Einsatz kommt, hängt von der Art der Information ab: Einen Geisterfahrer auf der Autobahn erst an eine Zentrale zu melden, die dann weiterleitet, kostet möglicherweise entscheidende Sekunden – hier kann dann eine direkte Car2Car-Warnung im Umkreis von ein paar Kilometern Unfälle vermeiden.
Notwendig sind ein flächendeckender 5G-Mobilfunk und schnelles Internet
Die Kommunikation zwischen Infrastruktur und Automobil dagegen dient in erster Linie dem Komfort und der Energie-Einsparung. Grundlage für den schnellen und effizienten Datenaustausch ist ein nahezu flächendeckendes Mobilfunknetz nach dem neuen Standard 5G – die Frequenzen dafür werden in Deutschland gerade versteigert. Ergänzt wird es durch WLANp, eine Kurzstrecken-Übertragung, mit der sich Ampeln und Autos austauschen. Außerdem notwendig: Hochpräzises GPS und entsprechend fein skalierte Karten, so dass ein Fahrzeug immer weiß, wo es sich befindet.
Tests in amerikanischen und deutschen Städten laufen
Bis diese komplexen, ineinandergreifenden Systeme stehen, wird es noch ein paar Jahre dauern. In den USA rüsten immerhin schon mehrere Städte Ampeln mit Sendern aus, die das optimale Tempo für die „Grüne Welle“ vorgeben. Ein ähnliches Pilotprojekt läuft bei uns in Friedrichshafen. Und Hamburg rüstet eine Teststrecke mit Ampeln aus, die per WLAN mit autonomen VW-Prototypen kommunizieren.
Die Verschmelzung der Zukunfts-Technologien hat begonnen. Erst wenn sie vollzogen ist, geht es mit dem selbstfahrenden Auto weiter. Das mag einem zäh vorkommen, doch auch hier gilt eine Grundsatzregel aus dem Straßenverkehr: Lieber später ankommen – dafür sicher.