27.05.2022

Kia EV6 im Langstreckentest – Auf nach Italien

Kommt man mit dem Elektroauto entspannt in den Urlaub? Wir wollten es wissen und machten uns mit dem neuen Kia EV6 auf den Weg nach Ligurien. 

Es gibt die Elektroautos, die schon länger auf dem Markt sind und von denen man weiß, was sie können. Und dann gibt es die neuen. Die, die überraschen sollen und mit sehr schnellen Ladezeiten und hoher Reichweite locken. Wir haben uns für die Langstreckenfahrt mit einem Elektroauto ins ligurische Rapallo bewusst für den neuen Kia EV6 entschieden.

Der Kia EV6 besitzt wie der Porsche Taycan die 800-Volt-Technologie

Der Crossover hat ein Lademanagement und die moderne 800-Volt-Technologie an Bord. So wie sein Schwestermodell, der Hyundai Ioniq 5, oder auch der viel teurere Porsche Taycan.

Die Technologie mit der doppelten Spannung steht für ein deutlich schnelleres Laden, als es mit der bisher weit verbreiteten 400-Volt-Technologie möglich ist – wir lassen uns überraschen.

Reichweite und Verbrauch nach WLTP machen neugierig

Ausgestattet mit einem 77,4 kWh starken Akku verspricht der heckgetriebene Kia EV6 GT Line eine Reichweite von bis zu 528 Kilometern nach WLTP. Dazu einen durchschnittlichen Verbrauch von 17,2 kWh pro 100 Kilometer. 

Bei der Laderoutenplanung ist noch Luft nach oben

Die Routenplanung fühlt sich zunächst komfortabel an. Was unserem Experten für Elektromobilität, Marcel Mühlich, aber gleich auffällt: „Es lassen sich zwar Ladestationen auf der Route fest einplanen, aber das System zeigt entlang der Strecke nur die 50 nächstgelegenen Ladestationen an.“ Und die verändern sich mit jedem abgespulten Kilometer.

Auswahl der Stopps nach Ladegeschwindigkeit wäre sinnvoll

Zwar zeigt das System an, ob es sich bei den Ladepunkten um Stationen mit AC (Wechselstrom), DC (Gleichstrom) und HPC (High Power Charging), also Schnellladestationen, handelt, „aber ich kann nicht nach Ladegeschwindigkeit filtern“, so Experte Mühlich: „Das wäre wünschenswert, denn ich will auf Langstrecke eigentlich nur an die Schnellladestation und nicht während der Fahrt die Route bearbeiten müssen.“

Irritierende Meldungen zum Ladestand

Nach den ersten Metern erscheinen auf dem Display seltsame Meldungen, dass die Ladung nicht bis zum knapp 670 Kilometer entfernten Ziel reicht und dass der Akku vollgeladen werden soll, obwohl er es schon ist. Wir ignorieren das mal und fahren weiter.

Der Crossover ist flott und sportlich straff unterwegs

Als Crossover ausgelegt, fährt sich das 4,68 Meter lange und knapp 2,0 Tonnen schwere Fahrzeug recht sportlich und ist erstaunlich agil. Der 168 kW (229 PS) starke Elektromotor beschleunigt den Stromer in 7,3 Sekunden von 0 auf 100. Für Zwischensprints sind erstaunlich viel Reserven vorhanden.

Maximal 185 km/h packt der EV6. Diese reizen wir aber nicht aus. Wir bewegen uns auf der Autobahn in Deutschland mit Richtgeschwindigkeit, im Ausland orientieren wir uns an der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.

Weitere Infos finden Sie in den Technischen Daten des Kia EV6 (pdf).

Die inneren Werte: Platz und Komfort

Was den Platz-Komfort betrifft, gibt es am Kia EV6 nichts zu meckern: Der variable Kofferraum bietet mit 490 Litern ausreichend
Platz fürs Standard-Reisegepäck.

Für sperriges Gepäck nur bedingt Platz

Von der Bauart her ist er aber für einen sperrigen Kinderwagen oder ein Fahrrad nur bedingt geeignet. Im Frunk, dem kleinen „Kofferraum“ vorne, lassen sich bequem die Ladekabel unterbringen. Und wer zu zweit unterwegs ist, kann die Vordersitze fast ebenerdig nach hinten klappen und am Rastplatz bequem ein Nickerchen halten.

Und plötzlich geht die Sitzheizung an

Etwas ungeschickt platziert sind die Sensortasten zur Aktivierung von Sitzbelüftung und Lenkradheizung am unteren Teil der Mittelkonsole. Beim Bedienen der Hauptbedienleiste für Infotainment und Klima löst man da schon mal ungewollt mit dem Unterarm die Sitzheizung aus.

Am ersten Etappenziel ist der eingeplante Ladepunkt nicht zu finden

Erstes großes Ziel auf der Route ist das schweizerische Cham nach rund 260 Kilometern. Hier ist der erste, fest einprogrammierte Ladestopp. Nach mehrmaligem Kreisen in der Innenstadt geben wir auf. Der Ladepunkt ist nicht dort vorhanden, wo ihn das Navi vermutet. Wir fahren ohne zu laden weiter über den Vierwaldstätter See Richtung Gotthard.

Auf der Autobahn zum nächsten Ladestopp

Der Kia schlägt sich bei nahezu gleichbleibendem Tempo auf der Autobahn recht wacker. Gestartet sind wir bei 100 Prozent und einer vom System berechneten Reichweite von 442 Kilometern. Beim spontanen Schnellladen auf der Raststätte Gotthard Nord docken wir gegen Mittag mit einer vom System prognostizierten Restreichweite von 114 Kilometern an.

Das Schnellladen funktioniert gut

Das Laden beginnt an der HPC-Säule mit 119 kW. Exakt fünf Minuten später liegt die Ladeleistung schon bei 199 kW. Die Reichweite hat sich auf 156 km erhöht. Das ist ein Gewinn von 42 Kilometern. Das System zeigt zudem an, dass der Akku in 16 Minuten auf 80 Prozent lädt, in 39 Minuten auf 100 Prozent. Da bleibt gerade mal ein bisschen Zeit für einen Kaffee, ein Sandwich und um sich ein bisschen die Beine zu vertreten.

Vorkonditionierung wird die Ladeleistung  künftig weiter verbessern

ACE-Experte Mühlich findet: „Die Ladeleistung hat ordentlich Wumms und das, obwohl der Kia noch keine Vorkonditionierung besitzt, die den Akku rechtzeitig auf die beste Ladeleistung trimmt. Das soll aber laut Kia nachgebessert werden.“ Im Idealzustand soll der Kia mit der 800-Volt-Technologie in nur 18 Minuten von zehn auf 80 Prozent laden.

Ladeleistung hängt von vielen Faktoren ab

Das haben wir im Test nicht geschafft, hängt aber letztendlich auch von vielen Faktoren ab. Etwa von Auslastung und Zustand der Ladesäule, Vitalität und Temperatur des Akkus oder der allgemeinen Umgebungstemperatur. Beim Laden in kaltem Zustand an einer Schnellladestation in Stuttgart erreichte der Kia beispielsweise ein Laden mit 114 kW. Bis zu 240 kW sind theoretisch drin.

Steckdose statt Ladesäule

Abends am Zielort Rapallo finden wir für uns zu weit entfernte 22-kW-Ladesäulen. Wir laden über Nacht in der Hotel-Tiefgarage mit Notladekabel an der Standardsteckdose. Das saugt nur 1 kW pro Stunde, statt 2,3 kWh. Vermutlich ein Steckdosendefekt.

Viel Wissenswertes zur Lade- und Routenplanung, sowie Reichweitenberechnung finden Sie auf unseren Ratgeberseiten "E-Auto fahren und nutzen".

Mit zwei Ladestopps zurück nach Stuttgart

Am nächsten Tag machen wir uns auf den Rückweg. Müssen noch zweimal zwischenladen: Einen Ladepunkt erreichen wir nach fehlerhafter Navigation auf einem Autohof in der Po-Ebene: 45 Kilometer Restreichweite. Den Akku laden wir dort mit bis zu 190 kW in nur 17 Minuten von 15 auf 80 Prozent. Und auf einem Rastplatz in der Schweiz, kurz vor der deutschen Grenze, füllen wir den Akku von 56 auf 86 Prozent in knapp 14,5 Minuten.

Unser Fazit

Der Kia EV6 ist langstreckentauglich und sparsam, wir kamen im Schnitt auf einen Verbrauch von 19,4 kWh. Das entspricht einer Reichweite von 399 km. Wer vorausschauend, rekuperierend fährt und One-Pedal-Driving nutzt, holt noch ein paar Kilometer mehr raus.

Wünschenswert wäre ein schnelles System-Update für die Ladeplanung und eine Vorkonditionierung der Batterie. In diesem Preissegment ist der Kia EV6 jedenfalls wegweisend.