"Wir gehen nicht wandern, wir gehen nicht wandern!“ Adrian, noch im Kindergartenalter und mein Sohn, schmollt. Mantraartig geht das so über Minuten: „Wir gehen nicht wandern, wir gehen nicht wandern!“ Wir haben ein Motivationsproblem. Unsere Verabredung mit Marlies, einer erfahrenen Mutter von zwei Söhnen, die heute unsere Wanderführerin sein soll, droht zu platzen.
Bayerisch für Anfänger
Wandern mit Müttern – das erschien uns, als wir davon lasen, einen Versuch wert. „In Reit im Winkl übernehmen einheimische Mütter die Rolle von Wanderführern und begleiten Familien auf leichten, kindergeeigneten Ausflügen.“ Doch von „Wie-die-Kinder-erstmal-zum-Wanderparkplatz-kriegen“ – dazu stand da nichts. Irgendeiner der Sätze zündet dann doch; vielleicht war es der: „Da sind noch ganz viele andere Kinder in eurem Alter.“ Ich sag das mit schlechtem Gewissen, weil ich nichts über die Wandergruppe weiß. Kurz darauf stehen wir vier, mit dabei ist auch Adrians Bruder Jakob, mit den anderen zwölf plus Marlies Hand in Hand im Kreis. Mit Marie und Lina, mit Elif und Ela, mit Maxi und Viktoria, zwischen drei und elf Jahre alt. Und den jeweiligen Eltern. Marlies, um die 50, beugt sich nach vorn und sagt: „Zur Begrüßung sagen wir ‚Griaß di!‘“ Und strahlt.
An kleinen Wundern vorbei zur märchenhaften Pause
Wandern gehen, das bedeute Wunder sehen, strahlt Marlies weiter. „Grüne Frösche und blaue Beeren zum Beispiel.“ „Blaubeeren!“, ruft Jakob, auf Knopfdruck begeistert. „Ja, von denen haben wir ganz viele da oben!“, knüpft Marlies an. Ein erster Funke ist übergesprungen. Alle Kinder schaffen den Weg bis zur ersten Rast, die das Grüppchen schon nach fünf Minuten an einem Waldspielplatz einlegt, wo Marlies bittet, die Augen zu schließen. Aus dem Rucksack fischt sie ein Buch und liest daraus ein Märchen vor: „Hänsel und Knödel“.
Große Wunder in der Klausenbach-Klamm
Als sie das Buch zuklappt, kramt sie Wäscheklammern hervor, beschriftet sie mit den Namen der Kinder und heftet sie ihnen an. Weiter geht’s auf einen steinigen Pfad, der schnell steiler und schmaler wird, über rutschige Holzbrücken führt und dann die volle Aufmerksamkeit der Eltern erfordert. Ein Plätschern dringt in die Ohren. Da, ein Wasserfall! Rechts und links türmen sich Felswände auf: Das zusammengewürfelte Familien-Trüppchen ist in der Klausenbach-Klamm angekommen. In der Felsspalte scheint es ein paar Grad kühler zu sein, es ist dunkler, es riecht nach Moos. Die Atmosphäre ist da, Marie (9) steht der Mund offen, Elif (4) und Ela (6) bekommen große Augen.
Kurz, knapp und knackig – die perfekte Wandertour für Kinder
Ich frage Marlies nach ihren Tricks: Wie bekommt man Kinder zum Wandern? Sie hat zwei erwachsene Söhne, die in der Bergwelt aufgewachsen sind. „Es muss kurz und knapp sein, und unterwegs müssen knackige Sachen dabei sein – wie die Klamm.“ Die Klamm war offenbar so knackig, dass Adrian auf dem folgenden Schotterweg in ein neues Motivationsloch plumpst, während der Rest der Rasselbande in versprengter Ordnung, aber als sich formendes Kollektiv weiter trabt.
Auf Papas Schultern zum nächsten Rastplatz
Nur der Vierjährige wirft sich an Mamas Schienbein und piepst: „Ich kann nicht mehr!“ Marlies eilt zu Hilfe, kniet sich in Adrians Blickhöhe. Aber es hilft nichts. Die Handbremse sitzt fest. Weil ich den Wanderversuch mit Kindern nicht aufgeben will, lasse ich mich erweichen – mit dem Ergebnis, dass Adrian bald weiterwandert: auf meinen Schultern. Und ich meine, Blicke der anderen Eltern zu spüren, die jetzt gute Argumente brauchen, um ihren Nachwuchs nicht auch schultern zu müssen.
Kleine Künstler im Grünen
Zum Glück ist der nächste Rastplatz bald erreicht, als wir links in eine Lichtung mit Hütte, Grillplatz und Teich einbiegen, wo Marlies Stifte aus ihrem Rucksack holt: „Schaut mal, sucht euch so einen glatten Stein“, sie hebt einen Stein auf, „und malt darauf, was Ihr im Wald mögt!“ Die Idee zündet. Jakob malt einen Pilz, Maxi einen Frosch, Ela ein Blatt. Erst eine ganz schön große Libelle über dem Teich reißt die Kinder aus ihrer Kontemplation, alle stürzen hin. Das Insekt tanzt, das Wasser plätschert, und Marlies sagt: „Manche kaufen sich eine CD, um bei solchen Geräuschen zu entspannen, wir haben das live hier.“
Ein kuhler Spruch hilft zum nächsten Etappenziel
Dann geht es hoch zur Demel-Alm auf knapp 900 Metern – aber nicht ohne eine Warnung. Denn auf einer Alm können einem Kühe begegnen, die nicht von einem tickenden Elektrozaun auf Distanz gehalten werden. „Die letzte Kua machts Gatter zua!“ Den Spruch haben die Kinder noch alle drauf, den Marlies für den Fall, dass wir ein Gatter passieren würden, aufsagte. Jetzt ist’s so weit. Rechts von uns liegen zwei Prachtexemplare von Kuh malmend im Gras.
Brot(zeit) und Spiele auf der Demel-Alm
„Jetzt holts eure Brotzeit aus dem Rucksack“, sagt Marlies, als wir an der Alm angekommen sind. Stullen verzehrend sitzt das Grüppchen vor der Hütte. Dann gibt’s Adrians großen Auftritt: Mit den Wäscheklammern heftet Marlies Fotos von Tieren an die Rücken der Kinder, die anderen müssen sie beschreiben, ohne sie beim Namen zu nennen. Adrian ist der Einzige, der ohne Hilfe errät, wer er ist: ein grüner Frosch.
Die Eltern sind begeistert – und die Kinder?
Von da an scheinen ihm auch Froschbeine gewachsen. Den Rückweg hüpft er fast im Alleingang, Mama und Papa sind abgemeldet, überhaupt scheint die Wanderslust um sich gegriffen zu haben, alle Kinder folgen dem Weg. Tugay aus Berlin, der Papa von Elif und Ela, hat eine Erklärung: „Es geht bergab.“ Er freut sich, dass er es laufen lassen kann: „In Berlin haben auf jedes Blatt schon zehn Hunde gepinkelt. Hier können die Kinder mal Sachen anfassen.“ Und Tanja, die Mutter von Marie und Lina, sagt: „Ohne die Gruppe hätten wir die Kinder nie zum Wandern gebracht.“ Und wie fanden es unsere Kinder? Jakob lapidar: „Gut!“ Adrian: „Nicht sehr megagut. Das Spiel war gut.“ Ist Wandern was für euch? „Nein“, kommt es wie aus einer Kehle zurück. Man kann aber auch blöde Fragen stellen, Papa, denke ich mir.
Reise-Info Chiemgau
Anreise: Mit dem Auto ab München in rund 1,5 Stunden, ab Köln in 7,5 und ab Berlin in rund 7 Stunden. Die nächstgelegenen Bahnhöfe sind Ruhpolding, Übersee oder Prien am Chiemsee.
Wandern mit Kindern: Die Wanderung zur Demel-Alm führt Marlies Speicher auf Anfrage und gegen eine Teilnahmegebühr durch. Telefonische Auskunft: 0176/98678804.
Unterkunft: Im „Alpenhotel Dahoam“ in Schleching kostet das Doppelzimmer ab 98 Euro inklusive Frühstück, die 125-qm-Ferienwohnung mit drei Stockbetten und einem Doppelbett kostet ab 150 Euro ohne Frühstück; direkt vor der Haustür kann man auf einen alten Schmugglerweg einschwenken, der über die österreichische Grenze zur spektakulären Entenlochklamm führt.
Wanderalternativen: Wenn die Kinder partout nicht wandern wollen, kann in Schleching bei Sport Lukas eine Raftingtour auf der Tiroler Ache gebucht werden. Teilnehmer müssen mindestens acht Jahre alt sein und schwimmen können. Kosten: 22 Euro für Kinder und 32 Euro für Erwachsene. Ein Spaßgarant ist der Chiemgau Coaster, die moderne Sommerrodelbahn in Ruhpolding kostet 3,50 Euro pro Fahrt; eine einstündige Flat-rate kostet 12 Euro. Freibäder gibt es in Ruhpolding und in Reit im Winkl.
ACE-Tipps: Auf Wunsch bietet der ACE eine Tourenausarbeitung oder nutzen Sie den Mobilitätsplaner auf der ACE-App mit Tankstellenfinder und aktueller Preisübersicht. Das ACE-Reisebüro vermittelt auf Wunsch Hotelunterkünfte.
Weitere Auskünfte erteilt der Chiemgau Tourismus e. V. Die Reise wurde von Chiemgau-Tourismus unterstützt.
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