28.05.2018

Frankreichs Atlantikküste

Muscadet, Austern, Meer und mehr: Die französische Vendée ist eher unbekannt, aber nun startet die Tour de France genau hier und die Welt wird zu Gast sein.

Im TV-Quiz „Wer weiß denn so was?“ war sie Thema. Was man kennen müsse auf der „Passage du Gois“, war die Frage. Ratlosigkeit machte sich breit. Die Antwort: Kennen muss man die Uhr und den Tidenkalender, denn Le Gois ist eine Straße, die die Insel Noirmoutier mit dem Festland verbindet – und bei Flut ist sie weg! Immer wieder werden Autos überrascht, es gibt zwar Rettungsinseln mit hohen Türmen, die Leib und Leben retten, das Auto hingegen wird geflutet.

Ob man sich als Bretone fühlt ist Gesinnungssache

Noirmoutier, die Insel, auf der die besten Kartoffeln Frankreichs wachsen, ist einem Abschnitt der französischen Atlantikküste vorgelagert, der Vendée heißt. Ob man sich nun noch als Bretone fühlt, wo genau die Bretagne eigentlich endet, ist Gesinnungssache, aber sei es drum: Die Départements Loire-Atlantique und Vendée liegen grob zwischen der Loire-Mündung bei Saint Nazaire, wo sich weiter südlich das schmucke Städtchen Pornic an die Küste schmiegt, und La Rochelle. Die Vendée ist ein topfebenes Land mit Stränden so endlos, dass man Bilder von Handtuch an Handtuch sofort wieder vergessen kann. Einstöckige weiße Häuser mit blauen Läden prägen das Land, Salzsiedereien und glückliche Kühe, weitab von Massentierhaltung. Ein Stück Frankreich, das die Franzosen kennen – und nicht mal die alle.

Mit der Eisenbahn kamen die ersten Badetouristen

Der einzige „klingende“ Name an der Küste lautet Les Sables d’Olonne, eine Stadt am Meer, wo am Grande Plage das bunte Beachleben tobt. Surfer, Kiter, Badende, Muschelsucher, Businesspeople in der Mittagspause, wuselnde Schulausflugskinder. Die Inhaberin der Crêperie la Pendule lächelt. Viel los heute, sie verleiht auf ihrer Terrasse sogar Strohhüte gegen die Sonne. Was heute ein wunderbares Seaside Rendezvous ist, war früher ein eher düsterer Platz, wo ertrunkene Seeleute angespült worden sind, wo eine Zementfabrik war und das Gefängnis – freiwillig ging hier keiner in die Dünen. Aber 1866 kam die Eisenbahn mit den „Vergnügungszügen“ aus Paris – Adel und Kunstschickeria entdeckten das Seebad für sich. Im Jahre 1900 gab es schon mehr als 35 Hotels in der Nähe der Strandpromenade. Dahinter die Villen, die in einer ganz eigenen Küstenarchitektur erdacht wurden: im Eklektizismus, im Chaletstil, häufig im Art déco. Die Häuser haben keine Nummern, aber fantasievolle Hausnamen und wer genau hinsieht: Sie haben oft zwei Türen. Eine normal große und eine kleine, die hinunter in den Keller führt. Dort lebte dann die Familie eher dunkel und beengt über den Sommer, die Beletage hatte man gewinnbringend an Gäste vermietet.

Das Kunstmuseum der Stadt hat unter anderem eine beeindruckende Sammlung von Bildern von Gaston Chaissac. Er arbeitete auch als Schuhmacher und malte auf allen Untergründen, deren er habhaft werden konnte. Berührende Bilder, die von prähistorischer Höhlenmalerei ebenso inspiriert sind wie von den Zeitgenossen Klee und Picasso. Er starb mit nur 54 und liegt bescheiden auf dem Friedhof der Heimatgemeinde Vix.

Die Tour de France startet 2018 in der Region Vendée

Chaissac ist ein wenig ein Symbol für eine Region, die wenig Aufhebens macht, die aber doch in den Fokus der Welt geraten wird: Vom 7. bis 29. Juli 2018 ist wieder Tour de France und sie startet erstmals auf der Insel Noirmoutier, touchiert Les Sables – auch durch La Tranche sur Mer geht die Tour. Der Badeort hat 13 Kilometer Strand, knallbunte Eisdielen, eine Markthalle, das kleine Hotel Atlantique, Strandresidenzen und Campingplätze und ein Gewirr von Sträßchen in Kiefern- und Pinienhainen, die von Ferienhäusern gesäumt sind: protzige, individuelle, traditionelle, ganz bescheidene. Vor einem steht ein Auto mit Züricher Kennzeichen. Lange schon hat Familie Kälin hier ein Haus und Urs Kälin weiß auch, dass viele der Häuser „à vendre“ sind. Die nachfolgende Generation hat keine Lust mehr auf ein Haus in der Vendée, wenn doch die ganze Welt lockt. Unweit von Kälins Häuschen steht das „Centre de mer Bellevue“, wo französische Schüler in einer Art Schullandheim alles über das Meer und seine Bewohner, über Ebbe und Flut lernen.

Orkan „Xynthia“ kostete viele Menschen das Leben

Auch über Tragik: Ab 1980 wurde in La Faute-sur-Mer in eine unter dem Meeresspiegel liegende Senke gebaut, die sträfliche Vernachlässigung der Gefahren rächte sich im Februar 2010 mit Orkan „Xynthia“. Der Damm des Lay brach und 29 Menschen kamen ums Leben. Heute ist das Gelände ein Golfplatz und doch ist es tief verankert im Bewusstsein der Bewohner: Die Natur kann man nicht überlisten.

In der Region Vendée gedeiht die Austernzucht

Das wissen auch die Austernbauern in der Mündung des Lay. Das Segelschiff für eine Austerntour ist eher eine Nussschale, „aber damit kann man nicht kentern“, beruhigt der Kapitän Pattrick und erklärt: „Hier wird die Pazifische Auster kultiviert, sie ist anpassungsfähig, robust und wachstumsfreudig und mag es, dass das Süßwasser des Flusses Lay sich hier mit dem Meerwasser der Gezeiten mischt. In der Vendée haben sich seit den 1950er-Jahren drei große Zuchtgebiete entwickelt: die Bucht von Bourgneuf, die Insel Noirmoutier und eben hier in der Bucht von L’ Aiguillon. Es ist ein mühsames Geschäft von der Babyauster zu jenen Austern, die in Käfigen im offenen Meer hängen, dann gewässert werden, damit sie nicht zu stark versalzen, und die dann in der Laymündung an Pfosten (Pfostenkultivierung) im Gezeitenbereich erst im dritten Jahr geerntet werden.

Die besten Austern reklamiert jede Region für sich – natürlich! Und jedes Restaurantpersonal hat eine eigene Meinung, welches Getränk dazu passe. Eher ein moussierender Crémant oder doch der heimische Muscadet? Der stammt aus dem Hinterland, aus einer sanftwelligen Landschaft, wo sich die kleinen Châteaus nur so reihen, wo der Ort Clisson altstadtromantisch am weidenbewachsenen Flüsschen liegt. Man wäre versucht, einen Rosamunde-Pilcher- Schinken hier zu drehen. Das Château du Coing in Saint Fiacre jedenfalls wäre eine perfekte Kulisse. 1832 von zwei italophilen Brüdern erbaut, kommt überall der italienische Stil durch.

Der heimische Muscadet passt zu den Fischgerichten

Winzerin Aurore ist gerade mal 35 Jahre alt, aber sie ist in die Fußstapfen der Mama getreten und lebt für ihren Wein. 45 Hektar am Schloss, 75 insgesamt ergeben rund 40.000 Flaschen im Jahr und das Terroir gilt ihr alles. Der Muscadet mag den Gneis, der Folle blanche ist eine zweite Rebsorte, die man vor allem für Cognac und Armagnac genutzt hatte. Als Gros Plant ist er ein säurebetonter Weißwein. Kellner eilen geschäftig vorbei, im Schloss kann man auch feiern. Das Catering kommt jedoch von außerhalb: „Ich bin eine schlechte Köchin“, lächelt Aurore. Aber eine umso bessere Winzerin und mit ihrem Wein im Gepäck geht es zurück an die Küste, wo es wahrlich genug schöne Picknickplätze gibt. Ein Baguette gehört dazu, das hat Laetitia in La Tranche in der Eisdiele L’ Amandine. Sie hat einen kleinen Zettel, auf dem sie Begrüßungen und „Danke“ in vielen Sprachen notiert hat. Deutsch kommt ihr nicht so oft unter. Aber die Vendée ist längst bereit für die Welt!

Les Machines in Nantes ist einen Abstecher wert

Quieken und Kreischen hört sich in allen Weltsprachen etwa gleich an. Und soeben hat sich der Große Elefant in Bewegung gesetzt. Und er sprüht Wasser auf die staunenden und flüchtenden Zuseher. Da haben es jene besser, die oben auf seinem Rücken mitschaukeln dürfen. Le Grand Elephant ist die größte Attraktion von „Les Machines de l‘Ile de Nantes“ – 12 Meter hoch, 40 Tonnen schwer bewegt er sich behäbig und kann sogar mit dem Wimpern klimpern. Alles begann als Ausstellungs-Projekt, das die mechanischen Objekte der Performance-Gruppe „La Machine“ in einer der alten Lagerhallen im Hafen von Nantes zeigte. Seit 2007 bauen die Objektkünstler weiter und längst sind Les Machines zu einer der Hauptattraktionen in Frankreich geworden. Die imaginären Welten greifen Ideen von Jules Verne, Leonardo da Vinci und aus der industriellen Geschichte von Nantes auf. Die 13 Meter lange und 37 Tonnen schwere mechanische Spinne La Princesse wurde während der Feierlichkeiten zur europäischen Kulturhauptstadt 2008 erstmals im englischen Liverpool präsentiert (Les Machines Nantes).

Reiseinformationen

Anreise: Mit dem Auto beträgt die Fahrtzeit von Frankfurt/M. nach Nantes etwa neun Stunden (950 km); Nantes wird von den Flughäfen München, Düsseldorf und Hamburg nonstop angeflogen, es verkehren Züge und Busse über Paris.

Wohntipp: Villa Saint Antoine, schönes Hotel im romantischen Clisson im Hinterland; am Meer: Residence Belle Plage Plage, neue und sehr gut ausgestattete Ferienwohnungen direkt am Strand; im Norden: Beau Soleil, nettes modernes Hotel am Hafen in Pornic.

Essen: La Poissonerie du Môle in Pornic ist ein feines, intimes Restaurant; La Suite svp in Les Sables  - die junge Köchin Mélanie Sire ist Mitglied einer Vereinigung, die nur regionale Produkte verwendet, Convenience und Pommes sind tabu; Restaurant-Bar-Pizzeria L’Equinoxe in La Tranche, dorthin gehen auch die Einheimischen; La Faute: Cul de Poule in La Faute - ein nettes unverkrampftes Restaurant.

Wein:  Domaine Veronique Günther-Chéreau, das Gut von Aurore.

Auskunft:  Region Loire-Atlantik; Region Vendée

Übersichtskarte der französischen Atlantikküste (pdf)

 

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