27.06.2023

Abgasskandal – Das bedeutet das BGH-Urteil für Verbraucher

Mit dem BGH-Urteil vom 26. Juni 2023 sind die Chancen auf einen Schadensersatz im Rahmen des Abgasskandals deutlich gestiegen. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Mit dem BGH-Urteil vom 26.06. sind die Chancen für Verbraucher auf einen Schadensersatz im Rahmen des Abgasskandals deutlich gestiegen. Vereinfacht gesagt kann jeder Autobesitzer, bei dem ein unzulässiges sogenanntes Thermofenster eingebaut ist, mit Schadensersatz rechnen.

Der ACE rät Verbrauchern dringend, baldmöglichst einen auf den Dieselskandal spezialisierten Anwalt wie unsere Partner-Kanzlei Dr. Stoll & Sauer aufzusuchen und ihre Ansprüche prüfen zu lassen. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Was genau hat der BGH entschieden?

Bisher mussten die Kläger für einen Schadensersatz Autokonzernen Vorsatz beim Einbau der unzulässigen temperaturgesteuerten Abschalteinrichtungen, auch Thermofenster genannt, nachweisen.

Jetzt ist klar, dass hierzu nur noch das fahrlässige Handeln notwendig ist. Fahrlässiges Handeln bedeutet in diesem Fall, dass die Autohersteller auf irgendeine Weise hätten erkennen können, dass ihr Handeln illegal ist. Da die Thermofenster schon seit über 20 Jahren in branchenüblichen, fachspezifischen Medien und Foren extrem kontrovers diskutiert werden, lässt sich der Vorwurf der Fahrlässigkeit kaum bestreiten.

Die Besonderheit ist, dass nicht die Kläger das fahrlässige Handeln nachweisen müssen. Vielmehr reicht es aus, dass eine illegale Abschaltvorrichtung im Fahrzeug verbaut ist. Es obliegt dann dem Hersteller, sich zu entlasten. Es ist jedoch zu erwarten, dass die Hersteller sich darauf stützen werden, die Abschaltungen seien rechtskonform, da diese vom KBA zugelassen sind.

Weiterhin hat der BGH einen groben Rahmen für den Schadensersatz definiert. Dieser beträgt fünf bis 15 Prozent des Kaufpreises. 

„Der BGH hat im Grunde Gutscheine für einen Schadensersatz ausgestellt.“, erklärte Ralph Sauer, Mitinhaber der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer, im Interview mit dem ACE.

Was bedeutet das Urteil für die Besitzer der betroffenen Fahrzeuge?

Die genaue Summe des Schadensersatzes hängt von den Gerichtsurteilen in den unteren Instanzen ab.

Klar ist mit dem Urteil aber, dass die Verbraucher auch ohne jeglichen Nachweis allein für die drohende Gefahr der Stilllegung einen Schadensersatz von bis zu 15 Prozent des Kaufpreises verlangen können.

Unabhängig davon, ob bereits eine Klage läuft oder eine neue Klage angestrengt werden muss: Es lohnt sich für Verbraucher mit dem neuen BGH-Urteil auf jeden Fall, vor Gericht zu gehen.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die unteren Instanzen dem BGH folgen?

Experten wie Ralph Sauer räumen den meisten Automobilherstellern vor Gericht kaum Chancen ein, sich aus dem Vorwurf der Fahrlässigkeit herauszureden. Allenfalls bei ca. 10 Prozent der betroffenen Modelle gäbe es hier überhaupt einen Diskussionsspielraum. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Abschaltvorrichtung sehr nah an der legalen Motorensteuerung liegt. Dies sei im Einzelfall zu prüfen. 

Welche Fahrzeuge und Hersteller sind betroffen?

Das Urteil betrifft nahezu sämtliche Kfz und damit auch Wohnmobile ab Baujahr 2013 oder später, die mit Diesel-Motoren unterhalb der 6D-Temp-Klasse ausgerüstet sind. In diesen Aggregaten wurden in aller Regel illegale Abschalteinrichtungen eingebaut.

Dies betrifft damit auch im Grunde alle Hersteller. Dazu zählt beispielsweise auch BMW, in deren Fahrzeugen erst vor kurzem von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) illegale Abschalteinrichtungen festgestellt wurden.

Was genau sollen Verbraucher jetzt unternehmen?

Der ACE arbeitet seit vielen Jahren mit einer der im Dieselskandal führenden Kanzlei Dr. Stoll & Sauer zusammen.

Wir empfehlen Ihnen dringend, hier oder bei einem anderen mit dem Dieselskandal vertrauten Anwalt einen Termin zu vereinbaren und prüfen zu lassen, welche Rechte Sie haben und wie viel Schadensersatz Sie erwarten können.

Warum hat der BGH so entschieden?

Der BGH schließt sich mit der neuen Rechtsprechung einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) an. Dieser hatte bereits im März den in der Praxis kaum nachweisbaren Vorwurf des Vorsatzes zugunsten des fahrlässigen Handelns seitens der Hersteller geändert.

Damit wurden die Rechte der Verbraucher in der EU deutlich gestärkt – das nun erfolgte BGH-Urteil hat also „nur“ das europäische Recht auch in Deutschland umgesetzt. 

Dies ist insofern bemerkenswert, als dass der BGH bislang im Dieselskandal keine verbraucherfreundlichen Urteile gefällt hat.

Was kann ich tun, wenn mein Anspruch auf Schadensersatz bereits rechtskräftig abgewiesen wurde?

Selbst dann kann sich eine erneute Klage lohnen. Zum einen hat der BGH mit dem Urteil erstmals bestätigt, dass das europäische Recht auch Verbraucher schützt. Dieser sogenannte Drittschutz wurde bislang immer abgelehnt. Insofern können Verbraucher mit einer sogenannten Staatshaftungsklage die Bundesrepublik Deutschland verklagen. Ob diese Klage auch tatsächlich Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten. 

In anderen Fällen wiederum ist es aufgrund der neuen Rechtsprechung nun möglich, auch die Marke und nicht nur den Motorenhersteller zu verklagen. So hat z. B. Audi immer auf VW als Motorenhersteller verwiesen. Nun ist es möglich, Audi direkt zu verklagen.

In jedem Fall sollten Geschädigte auch in diesem Fall unbedingt von unserer Partner-Kanzlei Dr. Stoll & Sauer oder anderen auf den Dieselskandal spezialisierten Anwälten prüfen lassen, ob bzw. in welcher Form eine Klage sinnvoll ist.

Wie sieht es mit der Verjährungsfrist der Ansprüche aus?

Es ist laut den Experten von Dr. Stoll & Sauer davon auszugehen, dass mit den beiden Urteilen vom EuGH und vom BGH im März bzw. im Juni 2023 die Verjährungsfrist neu beginnt.

Schließlich sei es bislang für die Verbraucher nicht möglich gewesen, basierend auf reiner Fahrlässigkeit zu klagen – vielmehr hatte der BGH das sogar ausgeschlossen und den Nachweis des Vorsatzes verlangt.

Mit den neuen Urteilen ist eine neue Situation eingetreten. Die Ansprüche würden Stand jetzt zum 31.12.2026 verjähren. Grundsätzlich beträgt die Verjährungsfrist drei Jahre.

Wie wahrscheinlich ist es, dass mein Auto stillgelegt wird?

Aufgrund der aktuellen Rechtslage ist es laut den Experten von Dr. Stoll & Sauer sehr wahrscheinlich, dass es zu Stilllegungen kommt.

So hat z. B. das Verwaltungsgericht Schleswig die EuGH-Rechtsprechung bestätigt, dass die Fahrzeuge mit illegalen Abschalteinrichtungen stillgelegt werden müssten. Bis zur endgültigen Urteilsfindung kann es aber aufgrund von Berufungen noch zwei bis drei Jahre dauern.  

Wer diese Entscheidung zur Stilllegung abwartet, läuft Gefahr, dass bis dahin die Verjährungsfrist von drei Jahren abgelaufen ist. Es bestehen dann keinerlei Ansprüche mehr. Verbraucher sind also gut beraten, schon jetzt zu einem Anwalt zu gehen und zu klagen.

Mit welchem Schadensersatz kann ich rechnen, wenn mein Auto stillgelegt wird?

Wer rechtzeitig klagt, kann den Fall einer drohenden Stilllegung schon heute vor Gericht geltend machen.

Wird das Auto dann tatsächlich stillgelegt, bestünde dann ein sehr viel höherer Anspruch als die nun vom BGH festgelegten 15 Prozent des Kaufpreises.

Auch hier gilt es zwar, die entsprechenden Urteile der unteren Instanzen abzuwarten. Aber nur wer sich jetzt Rechtshilfe holt und eine entsprechende Klage anstrengt, wahrt seine Chancen auf höhere Ansprüche.

Was denkt der ACE über das Urteil?

Aus Sicht des ACE ist die Höhe des Schadensersatzes von maximal 15 Prozent des gezahlten Kaufpreises nicht ausreichend.

Stattdessen wäre eine komplette Rückabwicklung und damit eine Rückgabe des betroffenen Kfz unter Anrechnung des Nutzungsvorteils eine wesentlich verbraucherfreundlichere Lösung gewesen. Dies ist z. B. in Österreich möglich.

Weitere Informationen 

Unsere Partnerkanzlei Dr. Stoll & Sauer bietet juristische Beratung sowie ausführliche Informationen rund um die Urteile zum Abgasskandal.