29.09.2020

Winterreifen-Test 2020 – Qual der Wahl

Auf der Suche nach dem passenden Winterreifen? In unserem großen Winterreifentest haben wir neun Reifen der Größe 225/50 R17 unter die Lupe genommen.

Wer sich für einen Winterreifen interessiert, findet in den großen Online-Börsen über hundert verschiedene Marken mit unzähligen Produkten. Doch wer soll da den Überblick bewahren? Wir haben Verkaufsschlager ausgewählt und noch vor den Corona-Beschränkungen im schwedischen Lappland getestet. Im Fokus: Neun Reifen der Größe 225/50 R17 für die Mittelklasse und einige Familienvans. Unser Winterreifen Test von 2020.

Was einen guten Winterreifen ausmacht

Einen Winterreifen braucht nur, wer regelmäßig auf Eis und Schnee fährt? Weit gefehlt, schon bei Temperaturen unter zehn Grad Celsius – das haben die vergangenen Tests von ACE, ARBÖ und GTÜ gezeigt – profitieren Winterreifen von ihrer Mischung mit hohem Silica-Anteil. Gemeint sind damit Kieselsäuren, die den Reifen flexibel und gleichzeitig widerstandsfähig machen. So bleibt er weich und verzahnt sich ideal mit der nassen Straße oder dem Eis.
Für den Grip im Matsch und Schnee sind dagegen vor allem die vielen kleinen Lamellen zuständig, die den Sommerreifen fehlen. Wir testen beides.

Schnee beherrschen alle? Bis auf einen!

Am besten gelingt das in diesem Jahr Bridgestone und der Michelin-Tochter BF Goodrich. Bei Temperaturen zwischen -5 und -15 Grad überzeugen beide vor allem durch kurze Bremswege und starke Traktion. Doch sie bieten auch eine gute Seitenführung, setzen die Lenkbefehle jederzeit präzise um und verhalten sich bei Tempo- und Lastwechseln längstmöglich neutral. Weil sie auch kleine Fahrfehler verzeihen, können die Testpiloten die so bereiften 3er BMW am schnellsten durch die Pylonen und Schneewände schlängeln. Ein wichtiger Aspekt auch für weniger geübte Fahrer.

Dem Fulda, der nach objektiven Testkriterien beim Beschleunigen und Bremsen mit beiden auf Tuchfühlung liegt, fehlt beim Herausbeschleunigen etwas die Traktion. Etwas dahinter reihen sich sowohl bei den Messwerten als auch bei subjektiven Eindrücken die Reifen von Goodyear und Conti ein, die schneller zum Übersteuern tendieren. Bei beiden ist der subjektive Fahreindruck auch insgesamt etwas unsicherer. Etwas überraschend können auch Michelin, Vredestein und der Snowproof vom finnischen Winterspezialisten Nokian nicht mit der Spitzengruppe mithalten.

Auch Runderneuerte und Ganzjahresreifen können auf Schnee eine Alternative sein

Schlecht sind die Reifen alle nicht, doch der noch recht neue Bridgestone zeigt, dass die Entwicklung stetig weitergeht. Enttäuscht hat diesmal der Eurowinter HS01 von Falken. Er steht beim Bremstest aus 50 km/h erst nach 26,2 Metern, der Bridgestone schon nach 23,8 Metern. Außerdem wird bei jeder Beschleunigung das Heck leicht und droht auszubrechen. Selbst der runderneuerte King Meiler, den wir aus Vergleichszwecken mitlaufen lassen (lesen Sie auch unseren Test zu runderneuerten Reifen), lässt den Falken auf Schnee in allen Disziplinen hinter sich. Doch wer auf die Performance im Schnee verzichten kann, sollte vielleicht eher über einen Ganzjahresreifen nachdenken.

Achtung bei stehendem Wasser

Tempo 80 bei Nässe – auf Landstraßen steht das Schild nicht ohne Grund, denn bei Regen und nasser Straße verschlechtert sich die Sicht, auch der Bremsweg verlängert sich. Bei stehendem Wasser droht sogar Aquaplaning. Bereits 100 km/h können dann zu schnell sein. Aus Testzwecken fahren wir mit diesem Tempo ins Aquaplaning-Becken. Bei acht Millimetern Wassertiefe verlieren alle Reifen die Haftung. Unser Test zeigt aber auch, die Reifen liegen eng beieinander: Zwischen dem schlechtesten und besten Reifen in dieser Kategorie liegen gerade einmal drei Stundenkilometer. Spätestens bei 91 km/h verliert auch der Goodyear den Kontakt. Dabei gilt: Viel hilft viel. In diesem Fall heißt das: viel Profiltiefe. Der Goodyear kommt ab Werk mit dem stärksten Profil (9,0 Millimeter).

Beim Profil müssen Tiefe, Mischung und Gestaltung stimmen

Jedoch ist die Profiltiefe nicht alles, auch auf die Gestaltung des Profils kommt es an, sonst würde sich der BF Goodrich mit gerade einmal 8,1 Millimetern nicht den dritten Platz sichern. Der Dreiklang aus Profilmischung, -gestaltung und -tiefe ist auch ganz entscheidend bei den Bremswerten. In diesem Jahr ist dies offensichtlich Bridgestone am besten gelungen. Beim Bremstest aus Tempo 100 steht er nach knapp 50 Metern. Selbst der zweitbeste Reifen hat da noch 18,6 km/h auf dem Tacho, der Fulda mit 37,5 km/h sogar noch mehr als ein Drittel seiner Startgeschwindigkeit. Wer da nicht hellwach ist, kann einen Auffahrunfall kaum noch vermeiden.

Tests am Limit im Handlingparcours

Im Handlingparcours wiederum überzeugt neben dem Bridgestone auch der Conti. Beide reagieren unverzüglich auf alle Lenkbefehle, pflügen mit viel Halt durch die Kurven und brechen nur dann aus, wenn unsere Testcrew es wirklich drauf anlegt. Und selbst dann lassen sie sich wieder gut einfangen. Fulda, Nokian, Vredestein und vor allem der Falken tun sich damit schwerer. Die Kurvenfahrt mit ihnen ist deutlich schwammiger, die Radien sind größer. Wer in der Kurve plötzlich Gas wegnimmt, droht die Kontrolle zu verlieren. Am Kurvenausgang möchte das Heck ausbrechen, im Alltag müsste das ESP weit früher eingreifen, um Schlimmeres zu verhindern.

Wann ist eine Straße eigentlich nass?

Übrigens: Rechtlich gilt eine Straße erst als nass, wenn sich ein Wasserfilm gebildet hat und das vorherfahrende Fahrzeug eine Sprühfahne hinter sich herzieht. Wir empfehlen: Tempo reduzieren, Abstand vergrößern, denn weder Profiltiefe noch -mischung lassen sich ad hoc ändern, drei km/h langsamer fahren geht dagegen immer.

Konflikt zwischen Grip und Sprit

Auf trockener Strecke rückt das Feld eng zusammen – zwischen dem Bestwert von Bridgestone (41,8 Meter) und dem Reifen von Vredestein (43,9 Meter) liegt beim Bremsen aus 100 km/h nur eine halbe Fahrzeuglänge. Auch im Handlingparcours schlagen sich die neun Fabrikate wacker. Vor allem Conti, Bridgestone und Fulda überzeugen durch ein präzises Lenkverhalten, halten sich im Grenzbereich lange neutral, bevor sie ausbrechen – und dann vor allem über die Vorderachse. So bleibt der BMW jederzeit gut kontrollierbar. Am ehesten ist noch der BF Goodrich aus der Reserve zu locken. Er zeigt etwas mehr Untersteuern beim schnellen Durchfahren einer Kurve. Kritisch ist das allerdings nicht.

Die Unterschiede beim Handling sind nur für Experten wahrnehmbar

Ansonsten braucht es einen wahren Reifen-Sommelier, um die leichten Unterschiede im Beschleunigungs-, Brems- oder Lastwechselverhalten aufzuspüren. Die Hersteller scheinen sich – zumindest auf der trockenen Strecke – immer mehr dem physikalisch-chemischen Maximum anzunähern. Größere Entwicklungssprünge oder Fortschritte sind zumindest bei den beliebten Marken nicht ersichtlich.

Spritverbrauch und Abrollgeräusch – Die Mischung macht's

Allerdings rückt der Spritverbrauch bei der Reifenentwicklung stärker in den Fokus – ein typischer Zielkonflikt, denn für einen kurzen Bremsweg sollte der Reifen am Asphalt „kleben“, das wiederum kostet Energie: Etwa 30 Prozent, immerhin bis zu zwei Liter pro einhundert Kilometer, gehen daher auf die Reifen zurück.

Nur mit einem raffinierten Unterbau und der Beimischung von Kieselsäuren lässt sich der Konflikt zumindest teilweise lösen. Conti gelingt das am besten: Der TS 860 bietet bei starken Bremswerten auch die geringsten Reibungsverluste. Gegenüber dem Falken können das immerhin bis zu vier Liter bei einer Tankfüllung ausmachen. Mit 71,6 dB(A) gehört er auch zu den leiseren Reifen.

Die Spanne reicht von 70,6 db(A) beim BF Goodrich bis zu 73,7 dB(A) beim Reifen von Fulda. Auch wenn es nur nach kleinen Unterschieden klingt: drei Dezibel weniger werden vom menschlichen Ohr als etwa 20 Prozent leiser wahrgenommen. Um dasselbe Ergebnis an einer Straße zu erreichen, müssten etwa 50 Prozent weniger Autos fahren.

Der richtige Luftdruck hilft beim Spritsparen

Übrigens: Je weniger Luft im Reifen ist, desto höher ist die Reibung und damit der Anteil am Spritverbrauch. Wer Kraftstoff sparen will, sollte daher spätestens bei jedem zweiten Tankstopp auch den Luftdruck kontrollieren.

Testsieger: Bridgestone

Unser Fazit: Ob an Weihnachten Schnee liegt oder doch die 20-Grad-Marke geknackt wird, kann keiner vorhersagen. Fest steht, ein guter Winterreifen muss alles können: Trockenheit, Starkregen, Schnee und Glätte. Im diesjährigen Winterreifentest gelingt das dem Bridgestone Blizzak LM005 am besten. Er überzeugt auf allen Untergründen mit beeindruckend kurzen Bremswegen und bleibt auch beim Handling lange neutral. Überraschend in der Spitzengruppe: der BF Goodrich g-Force Winter 2, der auf Schnee und nasser Strecke mit die besten Werte erzielt und lediglich auf der trockenen Strecke das Nachsehen hat. Explizite Regenspezialisten sind Michelin Alpin 6 und Goodyear Ultragrip Performance +‧. Doch gerade der Michelin tut sich im Schnee schwer. Der mittlerweile etwas in die Jahre gekommene Conti kann dagegen noch gut mithalten. Der Nachfolger, der eigentlich schon auf dem Markt sein sollte, kommt wegen Corona ein Jahr später – und soll vor allem im Schnee mehr Grip erzeugen. Mit leichten Defiziten landen Fulda, Nokian und Vredestein im Mittelfeld. Eine deutliche Schwäche leistet sich von den in diesem Jahr von uns getesteten Reifen nur der Falken Eurowinter HS01: Er enttäuscht mit gefährlich langen Bremswerten und mangelnder Traktion auf Schnee. Eine Empfehlung wäre der Reifen nur fürs Flachland und die Stadt. Doch die Erwartungen an einen guten Winterreifen sind andere – und die gemeinsamen Tests von ACE, ARBÖ und GTÜ haben gezeigt, dass selbst Ganzjahresreifen den Dreiklang aus Trockenheit, Nässe und Glätte mittlerweile besser beherrschen.

Unsere Testergebnisse haben wir in dieser Tabelle (pdf) für Sie zusammengefasst.

So haben wir getestet

Die Tests fanden im Februar, April und Mai auf Continental-Testgeländen in Schweden und Deutschland statt. Alle Versuche wurden mehrfach wiederholt und mit einem Referenzreifen abgeglichen. Gekauft wurden die Reifen Ende 2019 bzw. Anfang 2020 verdeckt im Reifenhandel und im Internet.
Die durchschnittlichen Verkaufspreise wurden vom Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk (BRV) ermittelt, Stand September 2020. Mehr Infos, wie wir testen, können Sie auf unserer Seite Wintereifen Test nachlesen

Die von uns getesteten Winterreifen passen unter anderem auf folgende Fahrzeuge:

  • Audi A4 (ab 2008)
  • Alfa Romeo Giulia (ab 2016)
  • BMW 3er (ab 2012)
  • Ford Galaxy (ab 2015)
  • Ford S-Max (ab 2015)
  • Mercedes-Benz C-Klasse (ab 2014)
  • Mercedes-Benz E-Klasse (bis 2016)
  • Jaguar XE (ab 2015)
  • Kia Carens (bis 2013)
  • Opel Insignia (bis 2017)
  • Opel Astra (bis 2015)
  • Seat Alhambra (seit 2010)
  • Škoda Yeti (bis 2017)
  • Volvo S60/V60 (ab 2018)
  • Volkswagen Sharan (ab 2010)

Weitere Informationen

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