28.05.2024

Cannabis im Straßenverkehr

Seit dem 1. April 2024 können Erwachsene in Deutschland legal Cannabis konsumieren. Wie aber mit der Droge im Straßenverkehr umgehen? Steigt das Unfallrisiko nach der Legalisierung? Politik und Wissenschaft streiten um den richtigen THC-Grenzwert.

Cannabis ist legal. Die Schlagzeilen am 1. April saßen keinem Aprilscherz auf, sondern berichteten vom Inkrafttreten des Cannabis-Gesetzes, das nunmehr den Besitz, privaten Anbau und Konsum bestimmter Mengen Cannabis für Erwachsene erlaubt.

Die neuen Regelungen

Wer im öffentlichen Raum bis zu 25 Gramm getrocknetes Cannabis mit sich führt, bleibt straffrei. In den eigenen vier Wänden sind maximal 50 Gramm erlaubt und es dürfen bis zu drei Cannabis-Pflanzen besessen werden. In der Öffentlichkeit ist der Konsum allerdings beschränkt.

In nicht kommerziellen Anbauvereinigungen dürfen ab dem 1. Juli Volljährige Cannabis gemeinschaftlich anbauen und untereinander zum Eigenkonsum abgeben. Eine Weitergabe außerhalb dieser Social Clubs bleibt strafbar, bei Weitergabe an Minderjährige droht Gefängnis.

Wer kifft, fährt nicht!

Streitthema bleibt der Umgang mit der Droge im Straßenverkehr. Wissenschaftlicher Konsens ist, dass sich das Risiko, unter Cannabiseinfluss einen Verkehrsunfall zu verursachen, erhöht. Eine verlässliche Aussage jedoch, so die Deutsche Gesellschaft Verkehrspsychologie (DGVP), zum Einfluss der Cannabislegalisierung auf die Verkehrssicherheit – gemessen am Unfallkriterium – könne nicht getroffen werden. Bestehende Studien hätten erhebliche methodische Schwächen, heißt es. Analysen sprächen allerdings dafür, dass sich das allgemeine Unfallrisiko insgesamt „moderat erhöht“.

Verkehrssicherheitsexpertinnen und -experten warnen. Der Konsum von Cannabis könne das individuelle Fahrverhalten erheblich beeinflussen. Das im Cannabis enthaltene Tetrahydrocannabinol (THC) wirke psychoaktiv und schränke die Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit erheblich ein. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) weist darauf hin, dass Cannabis individuell sehr unterschiedlich wirke. Die Wirkung hänge stark von der Gewöhnung ab, aber auch von körperlichen und psychischen Faktoren der Konsumierenden. Sicher sei aber, dass Cannabis die Fahrtüchtigkeit massiv beeinträchtige. Wer unter Einfluss dieser Droge fährt, könne eine sehr ernste Gefahr für sich und andere darstellen. Ob Legalisierungsbefürworterin oder Gegner – unisono heißt es deshalb: Wer kifft, fährt nicht.

Streit um den richtigen THC-Grenzwert

Doch was das in der Praxis genau bedeutet, darüber besteht wissenschaftlich und politisch keine Einigkeit. Bei Erreichen welchen Grenzwertes kann das sichere Führen eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr nicht mehr gewährleistet werden?

Eigentlich hat das Bundesverkehrsministerium zur Klärung solcher Fragen die seit 1993 arbeitende Grenzwertkommission berufen, die vollständig „Gemeinsame Arbeitsgruppe für Grenzwertfragen und Qualitätskontrolle“ heißt. Sie ist fachübergreifend mit Expertinnen und Experten aus Verkehrsmedizin, Rechtsmedizin und der Toxikologie besetzt. Zuletzt hatte die Kommission die Frage nach einem mit 0,5 Promille Blutalkoholkonzentration vergleichbaren Grenzwert für THC auf wissenschaftlicher Grundlage nicht beantworten können.

Auch der Deutsche Verkehrsgerichtstag, der jedes Jahr in Goslar tagt, stellte 2022 fest, dass „nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft für Cannabis weder im Strafrecht noch im Ordnungswidrigkeitenrecht mit Alkohol vergleichbare Grenzwerte festgelegt werden können“. Eine Vergleichbarkeit der Auswirkungen von Alkoholkonsum und der Einnahme von Cannabis auf die Verkehrssicherheit sei hinsichtlich einer Vielzahl von Aspekten nicht oder nur bedingt gegeben, erklärt auch die verkehrspsychologische Fachgesellschaft DGVP. 

Neue Expertengruppe des BMDV empfiehlt einen höheren Grenzwert

Bis dato gilt der höchstrichterlich festgelegte THC-Grenzwert von 1 ng/ml Blutserum, ab dem eine Ordnungswidrigkeit im Straßenverkehr begangen wird. Dieser Wert liege aber, sagt nicht nur der Deutsche Verkehrsgerichtstag, so niedrig, dass er zwar den Nachweis des Cannabiskonsums ermögliche, aber nicht zwingend einen Rückschluss auf eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung zulasse. Der derzeit angewendete Grenzwert müsse also heraufgesetzt werden, fordern auch die Bundestagsfraktionen der Ampelkoalition. Die Unionsfraktion hingegen mahnt, im Sinne der „Vision Zero“ auf die Anhebung des Grenzwertes für Cannabis zu verzichten.

Um die Frage zu klären, setzte das Bundesverkehrsministerium 2023 eine neue Expertengruppe ein. Ende März wurde das Ergebnis vorgelegt. Die Expertengruppe schlägt einen gesetzlichen Wirkungsgrenzwert von 3,5 ng/ml THC Blutserum vor. Bei Erreichen dieses THC-Grenzwertes sei eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung beim Führen eines Kraftfahrzeuges nicht fernliegend, aber deutlich unterhalb der Schwelle, ab der ein allgemeines Unfallrisiko beginne, heißt es in der Begründung. Der vorgeschlagene Grenzwert sei nach Ansicht der Experten vom Risiko vergleichbar mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,2 Promille.

THC im Blutserum sei bei regelmäßigem Konsum noch mehrere Tage nach dem letzten Konsum nachweisbar. Daher soll mit dem Vorschlag eines THC-Grenzwertes von 3,5 ng/ml erreicht werden, dass nur diejenigen sanktioniert werden, bei denen der Cannabiskonsum in einem gewissen zeitlichen Bezug zum Führen eines Kraftfahrzeugs erfolgte und eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung beim Führen eines Kraftfahrzeugs möglich ist.

Kein wissenschaftlicher Konsens

Dagegen protestieren unter anderem der TÜV-Verband und die Prüforganisation DEKRA. Der von der Expertengruppe abgeleitete Grenzwert basiere auf einer selektiven Berücksichtigung von Fachliteratur und widerspreche einer neutralen und fair ausgewogenen Verwendung der zum Themenfeld verfügbaren wissenschaftlichen Quellen.

Die vorgeschlagene Erhöhung des THC-Grenzwertes von 1,0 ng/ml auf 3,5 ng/ml sei verfrüht und auf der Basis der vorliegenden Erkenntnisse derzeit wissenschaftlich nicht begründbar. Die Entscheidung erscheine rein politisch motiviert, so der TÜV-Verband. Auch Polizeivertreter kritisieren die Festlegung eines THC-Grenzwertes.
Eine auf aktuellen Studien baiserende Entscheidung zu treffen, werde als untauglich erachtet, da sich die Vielzahl von Studien regelmäßig inhaltlich widersprächen und ein klares Ergebnis dadurch empirisch nicht ermittelbar sei, heißt es im ablehnenden verkehrspolizeilichen Votum des Polizeivertreters in der Expertengruppe. Eine Erhöhung sende ein falsches Signal aus. Dauerkonsumenten würde vermittelt, dass auch regelmäßiger Konsum einer Teilnahme am Straßenverkehr nicht entgegensteht, das könne nicht befürwortet werden. 

Showdown im Bundestag

Im Juni will der Bundestag über den THC-Grenzwert entscheiden. Er muss dafür das Straßenverkehrsgesetz ändern. Die Fraktionen von SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen haben bereits klargemacht, dass sie dem Votum der Expertengruppe folgen werden. 3,5 ng/ml Blutserum soll als THC-Grenzwert im Gesetz festgelegt werden. Wer zukünftig diese Grenze überschreitet, muss wie bisher auch mit mindestens 500 Euro Bußgeld, zwei Punkten im Fahreignungsregister und einem Monat Fahrverbot rechnen.

In der Diskussion ist auch ein erhöhtes Bußgeld von 5.000 Euro bei Mischkonsum von Cannabis und Alkohol, da für Cannabiskonsumenten ein absolutes Alkoholverbot am Steuer gelten soll. Umstritten ist, ob es zudem ein absolutes Cannabisverbot für Fahranfängerinnen und Fahranfänger geben soll.

Für Führerschein-Neulinge sowie junge Fahrer vor Vollendung des 21. Lebensjahres könnte es eine ähnliche Regelung wie bei Alkohol geben. Seit 2007 gilt für diesen Personenkreis ein absolutes Alkoholverbot. Zumindest in der Probezeit und für junge Fahrer bis 21 Jahre könnte es also auch in Zukunft beim THC-Grenzwert von 1,0 ng/ml bleiben. Doch einig sind sich alle: im Zweifel das Fahrzeug besser stehen lassen.

Was sagt der ACE?

  • Die geplante Erhöhung des THC-Grenzwertes birgt große Risiken und steht im Widerspruch zur „Vision Zero“.
  • Die Studienlage ist nicht eindeutig, ab welchem Wert die Fahrsicherheit bei Cannabiskonsum beeinträchtigt ist.
  • Ein absolutes Cannabisverbot in der Probezeit und bis zum 21. Lebensjahr ist im Sinne der Verkehrssicherheit das Mindeste, was gelten muss.
  • Der Mischkonsum von Alkohol und Cannabis im Straßenverkehr sollte verboten und scharf sanktioniert werden.
  • Völlig außer Acht gelassen wurden Radfahrer und Radfahrerinnen. Auch hier gibt es aus Sicht des ACE dringenden Regelungsbedarf. Es gibt bisher weder bei Alkohol noch bei Cannabis den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit, der an einen konkreten Grenzwert gekoppelt ist.

Zu den politischen Positionen des ACE rund um Mobilität und  Verkehrssicherheit