27.11.2023

Die Tankstelle der Zukunft

Ab 2035 ist die Zulassung von Verbrennern in Europa verboten. Hersteller und Zulieferer versuchen mit hohen Investitionen den Sprung ins Elektro-Zeitalter zu meistern. Doch was wird aus den Tankstellen?

Als Bertha Benz 1888 noch in einer Apotheke Leichtbenzin kaufte, um von Mannheim nach Pforzheim zu kommen, wagte niemand von einer flächendeckenden Tankstellen-Infrastruktur zu träumen.

Tankstellen – mehr als nur Sprit

Heute ist die Tankstelle längst als Alltagsretter für Vergessliche und Kurzentschlossene ins kollektive Gedächtnis eingegangen. Denn
wie oft hat uns die Tanke schon vor größerem Schlamassel bewahrt?

Sie war für jeden Not-Halt zu haben, stillte den kleinen Hunger, versorgte uns mit Kaffee, Feierabendbierchen oder aktuellem Lesestoff
und wahrte nicht zuletzt mit kleinen Aufmerksamkeiten den Familienfrieden. Was sich übrigens wunderbar am Muttertag  beobachten lässt.

Ihre hauptsächliche Funktion rückt bei dieser leicht verklärten Beschreibung allerdings zu Unrecht in den Hintergrund: Sie sorgt dafür, dass wir vorankommen. Sie sorgt für einen vollen Tank.

Das Tankstellensterben hat längst begonnen

Seit März dieses Jahres ist klar, dass es sich ändert. Früher oder später. Da ab 2035 keine neuen Verbrenner mehr zugelassen werden, rückt das Tanken Stück für Stück in den Hintergrund. Stehen Tankstellen
dann nur noch als Mahnmal einer fossilen Vergangenheit?

Ein Blick auf die Zahlen verheißt für Tankstellen-Nostalgiker zumindest
nichts Gutes. Demnach setzte das Tankstellensterben bereits vor zehn Jahren ein. Nicht zuletzt da die Fahrzeugentwicklung immer sparsamere Autos auf den Weg brachte.

Laut Statista lag 2010 die Anzahl der Straßentankstellen noch bei 14.410. Im vergangenen Jahr schrumpfte die Zahl auf 14.070.

E-Autobesitzer nutzen die Ladepunkte an Tankstellen kaum

Und auch das derzeitige Ladeverhalten von E-Autobesitzenden verweist eher auf ein Ende der Tankstellen-Ära. Denn wer heute elektrisch unterwegs ist, lädt zu Hause, bei der Arbeit oder während des Wocheneinkaufs vorm Supermarkt. Tankstellenketten der Mineralölkonzerne spielen als Anbieter im Lade-Alltag kaum eine Rolle. Die Platzhirsche sind Energieversorger, Stadtwerke und Automobilhersteller. Da liegt der Verdacht nahe, dass Tankstellen die elektrifizierte Zukunft verschlafen haben.

Mit dem Verbrenner-Aus beginnt eine Übergangsphase

Cornelia Wolber, Head of Media Relations & Newsroom bei Shell Deutschland GmbH, beschwichtigt und sagt: „Für uns ist und bleibt die Tankstelle auch in Zukunft der Ort, an dem Autofahrer ihre Bedürfnisse
rund um die Mobilität befriedigen.“ 

Nicht zuletzt aus dem Grund, dass mit dem sogenannten Verbrenner-Verbot Tankstellen nicht von heute auf morgen von den Straßen verschwinden werden. Verbrenner nehmen noch weit nach 2035 am Verkehr teil. „Vor uns liegen noch zwei Jahrzehnte, wo wir in einer Hybridphase sind – wo wir also Kraftstoff neben Ladesäulen auf unseren Tankstellen sehen werden, weil wir neben der steigenden Zahl von Elektroautos eben auch noch sehr viele Verbrenner im Fahrzeugbestand haben.“

Die großen Tankstellenkonzerne planen für die Zukunft

Doch allein auf die rettende Hybridphase,die das Leben der Tankstellen womöglich um ein paar Jahrzehnte verlängert, verlässt sich keiner der Betreibenden. Im Gegenteil. Seit Jahren machen sich die  Mineralölkonzerne Gedanken darüber, wie die Tankstelle der Zukunft aussehen könnte.

Das bekannteste Beispiel lieferte 2019 die Aral AG, die gemeinsam mit den Forschenden des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, Institut für Verkehrsforschung, die Studie „Tankstelle der Zukunft – Mobilitätstrends 2040“ veröffentlichte. Demnach gibt es für die zukünftige Tankstelle vier unterschiedliche Szenarien, abhängig von ihrem jeweiligen Standort und den damit verbundenen Bedürfnissen.

Die Bedeutung von E-Mobilität und alternativen Antrieben

Tankstellen-Kundinnen und -Kunden haben eben in der Großstadt  andere Ansprüche als im ländlichen und städtisch geprägten Raum oder auf der Autobahn. Passgenau lieferten die Forschenden mögliche weitere Services, die die Tankstellen der Zukunft aufnehmen könnten.

„Einige Annahmen, die bei der Studienerstellung getroffen wurden, sind
heute nicht mehr gültig. Zum Beispiel nimmt das Thema Batterie-Elektromobilität Fahrt auf. Das betrifft jetzt auch die supergroßen Lkw  für den Güterverkehr auf der Langstrecke. Wasserstoff wird vermutlich
nicht so präsent sein, wie es 2019 noch prognostiziert wurde. Auch haben wir damals keine weitreichenden klimapolitischen  Entscheidungen einbezogen, da diese damals nicht absehbar waren“,
so die DLR-Forschenden Julia Jarass und Mirko Goletz.

Obwohl sich die Rahmenbedingungen der Studie verändert haben, bleibt sie aktuell. „Wir haben damals für die Entwicklung der Verkehrsleistung einige Parameter betrachtet, die weiterhin Bestand haben (zum Beispiel demografischer Wandel, Führerscheinbesitz und nachholende Motorisierung bei Frauen).“

Insofern ist das Ergebnis der Studie weiterhin gültig – „eine Vision für zukünftige Mobilitätsangebote an Tankstellen in verschiedenen  Raumtypen zu entwickeln“, erklären Jarass und Goletz.

Stadt, Land, Autobahn - Tankstellen müssen unterschiedlichste Bedürfnisse erfüllen

Die Transformation der Tankstellen in die Zukunft gelingt also nicht nur durch die Einstellung auf einen veränderten Mobilitätsmarkt, sondern auch durch die Anpassung an die Bedürfnisse der Menschen
vor Ort.

Die Tankstellen müssen sich ein Stück weit neu erfinden und entstehende Lücken für sich entdecken. Darin sind sich die Tankstellenbetreibenden einig. Denn, wie oben angeführt, wird der
alltägliche Tank- beziehungsweise Ladevorgang bei Pkw überwiegend von der Tankstelle entkoppelt sein. Die zusätzlichen Produkte und Dienstleistungen rücken in den Vordergrund. Was nicht bedeuten soll, dass es an der Tanke nebenan keine Ladesäule geben wird. Die wird es
perspektivisch an jeder Tankstelle geben. Allerdings nicht überall im größeren Ausmaß. Nur bei längeren Fahrten und auf Reisen wird das Laden für die Kundinnen und Kunden seine gewichtige Rolle beibehalten.

Die Autobahn-Tankstelle im Elektrozeitalter    

Tankstellen an Autobahnen müssen darauf reagieren und künftig viele Schnellladesäulen und eine Möglichkeit anbieten, während der Ladedauer zu verweilen, etwa bei einem Kaffee, WLAN und einem kleinen Snack. Was oftmals heute schon gang und gäbe ist und womit Tankstellen nicht zu unterschätzende Einkünfte umsetzen.

Tankstellen auf dem Land als Supermarkt-Ersatz, Postamt und Treffpunkt

Dieser  Service könnte sich noch ausweiten. Insbesondere in ländlichen Gegenden. Hier wandern seit Jahren die Lebensmittelläden ab. Eine entstehende Lücke, in die Tankstellenbetreibende hineinwachsen könnten, nämlich in die des Nahversorgers. Entweder mit angeschlossenem Supermarkt oder in Form eines unbemannten 24/7-Shopcontainers. Gebündelt mit weiteren Dienstleistungen des täglichen
Bedarfs, wie einer Post- oder Paketstation, einer Möglichkeit, Geld abzuheben, oder einem angeschlossenen Bistro als sozialem Treffpunkt.

Tankstellen in der Stadt werden zu Mobility-Hubs

In Städten mausert sich die Tankstelle hingegen zum Mobilitäts-Hub, einem Ort, an dem diverse Verkehrsmittel und damit verbundene  Services zur Verfügung stehen. Die Tanke könnte damit sogar einen Beitrag zur Verkehrswende leisten: „Tankstellen könnten Ausleihmöglichkeiten für Miet-Pkw oder Miet-Lastenräder bieten“, so Jarass und Goletz. Geht es nach der Aral-Studie, dann besitzt die städtische Tankstelle 2.0 sogar einen Landeplatz für Flugtaxis, um
Personen schneller durch den dichten Stadtverkehr zu bugsieren.

Mineralölkonzerne als Ladeanbieter

Doch genügt die Transformation zum Allrounder? Mineralölkonzerne wie Shell versuchen neben der Transformation ihrer Tankstellen auch einen Fuß als Ladeanbieter in die Türe zu bekommen: „Wir wollen […] Lademöglichkeiten anbieten, wann immer und wo immer der Kunde sein Auto laden möchte“, stellt Wolber klar. 2017 kaufte Shell den ehemals größten europäischen Ladeanbieter NewMotion, der nunmehr unter
dem Namen Shell Recharge Solutions Lademöglichkeiten für zu Hause, bei der Arbeit und für unterwegs anbietet.

Daneben bietet Shell seit letztem Jahr vor REWE-Supermärkten Schnellladesäulen an und kooperiert mit IONITY, einem Joint Venture der Hersteller Audi, BMW, Daimler, Ford, Hyundai und Volkswagen.

Freie Tankstellen stehen vor großen Herausforderungen

Während große Konzerne für eine elektrisierende Zukunft Unternehmen
aufkaufen oder mit Automobilherstellern kooperieren, sehen freie Tankstellen diese Entwicklung kritisch.

Laut Stephan Zieger, Geschäftsführer des Bundesverbands freier Tankstellen, sei es wichtig zu verhindern, dass vonseiten der Stromanbieter neue Oligopole entstehen. „Durch Kooperationen mit Automobilherstellern besteht zudem die Gefahr, dass die Fahrzeuge  dann ohne Wissen der Fahrer per Navigation nur noch an die  Lademöglichkeiten der Stromhersteller gelenkt werden und die Tankstellen außen vor sind. […] Deshalb fordern wir zum einen eine Preistransparenz, wie es sie bereits in der Mineralölbranche dank der Markttransparenzstelle für Kraftstoffe gibt, und zum anderen Technologieoffenheit der Fahrzeughersteller und Kartenanbieter, sodass unsere Mitglieder bei der Übersicht von Lademöglichkeiten gleichwertig angezeigt werden.“

Bürokratie bremst den Aufbau der Ladeinfrastruktur

Das sind nicht die einzigen Sorgen der freien Tankstellen. Sie sehen sich auch beim Aufbau der Ladeinfrastruktur mit immensen bürokratischen Hindernissen konfrontiert, „[…] sodass es zum Teil zu Projektverzögerungen von Monaten bis hin zu mehr als einem Jahr kommt“, kritisiert Zieger.

Die Anträge für die Installation von Ladeinfrastruktur seien zu umfangreich, insbesondere wenn noch ein entsprechender Netzanschluss zur Tankstelle gelegt werden muss. Hinzu kommt, dass viel zu viel Zeit verstreicht, bis die Anträge bewilligt werden.

Freie Tankstellen können einen wichtigen Beitrag zum Ausbau der Ladeinfrastruktur leisten

Dies wäre eine weitere Maßnahme, um das Tankstellensterben zu verhindern: Transformation vereinfachen und zugänglich machen. Es nützt nichts, wenn freie Tankstellen nach und nach aufgeben. Sie müssen Teil dieses Veränderungsprozesses bleiben. Allein schon um das hehre Ziel der Bundesregierung von einer Million öffentlich zugänglicher Ladepunkte bis 2030 erreichen zu können. Denn davon befinden wir uns noch Lichtjahre entfernt. Stand Juli verzeichnet die Bundesnetzagentur auf der Haben-Seite 78.918 Normalladepunkte und 18.577 Schnellladepunkte.

Weitere Zahlen und Fakten im Überblick (pdf):

Bis zur Tankstelle der Zukunft dauert es noch

Ist somit die Formel für eine Zukunft mit der Tanke gefunden? Einstellung auf veränderte Mobilität + Anpassung an die Bedürfnisse der Kundschaft + Abbau von Bürokratiemonstern = Tankstelle 2.0. Klingt plausibel. Braucht aber seine Zeit. 

Gut, dass es bis 2035 noch ein paar Jährchen sind. Und dann treffen wir uns auf einen Kaffee im Lade-Hub, warten auf unser Lufttaxi und malen uns aus, was wohl Bertha Benz dazu zu sagen hätte.