23.01.2024

Genügend Strom für alle

Schon jetzt gibt es täglich mehr E-Autos, bald werden es noch viel mehr sein. Aber haben wir überhaupt genügend Strom, um die alle zu versorgen? Und sind die Stromnetze auf die neue Belastung ausreichend vorbereitet?

Die Stromversorgung in Deutschland ist für die nächsten Jahre gesichert, da sind sich die Experten einig. Mit Sicherheitsreserven und Zukäufen aus dem Ausland zu Spitzenzeiten gibt es immer ausreichend Puffer. Zudem wird der Anstieg des Stromverbrauchs selbst bei einer maximal beschleunigten Mobilitätswende zwar deutlich steigen, aber eben nicht so rasant, dass zu wenig Strom da ist.

Der wachsende Strombedarf soll durch erneuerbare Energien gedeckt werden

Genauer gesagt lag der Nettostrom-Verbrauch in Deutschland laut Statista 2019 bei 512 Terawattstunden. Experten prognostizieren für das Jahr 2030 einen Nettostrom-Verbrauch von rund 700 Terawattstunden. Dieser zusätzliche Bedarf soll vor allem durch den Ausbau erneuerbarer Energien gedeckt werden. So weit, so gut.

Droht ein Blackout?

Wie aber sind die Netze darauf ausgerichtet, die für die E-Mobilität benötigte elektrische Leistung im Verteilernetz bereitzustellen? Während industrielle Lastspitzen durch vorab ausgehandelte Verträge planbar sind, lässt sich das Ladeverhalten nicht ganz so verlässlich planen. Kein Netzbetreiber kann von vorneherein wissen, wie viele E-Autos gleichzeitig mehrere Ladepunkte in einer Straße oder in einem Viertel nutzen. Im schlimmsten Fall können diese Lastspitzen das Stromnetz überlasten und es kann zu einem Blackout kommen.

Der für die Mobilitätswende nötige Netzausbau ist bereits in vollem Gange

Um genau solche Schreckensszenarien zu verhindern, braucht es einen ebenso gezielten wie sinnvollen Ausbau der vorhandenen Netze und der dazugehörigen Infrastruktur. „Natürlich bauen wir als Netzbetreiber das Netz entsprechend dem Bedarf der Kunden aus. Dazu sind wir grundsätzlich verpflichtet. Dabei geht es nicht um das ,Ob‘ sondern um ,Wie schnell und wie nachhaltig‘“, sagt Markus Wunsch, Leiter der Netzintegration Elektromobilität bei Netze BW.

"Dimmen" gegen den Blackout

Eine weitere Strategie zur Vermeidung  eines Blackouts ist das sogenannte "Dimmen": Auf Basis des zum 01.01.2024 gültigen §14 des Energiewirtschaftsgesetz haben Netzbetreiber die Möglichkeit, als "Ultima Ratio" die Netzleistung zu regulieren.  

Konkret dürfen die Netzbetreiber dabei für die Dauer der konkreten Überlastung  den Bezug von Strom auf bis zu 4,2 kW senken. Selbst diese reduzierte Leistung erlaubt sowohl den Betrieb gängiger Wärmepumpen wie auch das etwas langsamere Laden von E-Autos, siehe hierzu auch den am Ende dieses Artikels beschriebenen Modellversuch. Der  allgemeine Haushaltsverbrauch wird durch die Regulierung nicht eingeschränkt. 

Wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer solchen Maßnahme ist, lässt sich u.a. aufgrund der unterschiedlichen lokalen Gegebenheiten nicht beziffern. Die Bundesnetzagentur verspricht, dass diese Maßnahmen zum sogenannten "Dimmen" die absolute Ausnahme bleiben – und dass möglichst nur der jeweils notwendige Bereich gedimmt wird. 

Auf der Basis von Daten können Netzbetreiber den Bedarf ermitteln

Zur Förderung der Mobilitätswende hat die Bundesregierung eine eigene Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur geschaffen. Unter anderem wurde dort zum Beispiel festgelegt, dass die Netzbetreiber künftig noch besser über den zu erwartenden Leistungsbedarf informiert werden. Ebenso beruhigend ist, dass dieser Informatiosfluss bereits seit 2019 durch zahlreiche vorhandenen Erhebungen von Daten ausreichend gewährleistet ist. Rein theoretisch können die Netzbetreiber also wissen, was auf sie zukommt und ihre Netze zum Beispiel auch für große Industriekunden entsprechend ausrüsten. Aber wie sieht das konkret in der Praxis aus? Wie genau wollen die einzelnen Netzbetreiber verhindern, dass sogenannte Lastspitzen entstehen und plötzlich das Stromnetz zusammenbricht?

Bei öffentlichen, gewerblichen und kommunalen Ladestationen ist der Strombedarf genau planbar

„Eine Überlastung des Stromnetzes kann dann vorkommen, wenn in einem Stromnetzabschnitt der gesamte zeitgleiche Leistungsbedarf aller Kunden höher ist als die entsprechend verfügbare Netzkapazität“, erklärt Markus Wunsch. Alternativ kann dazu die Ladeleistung auch reduziert werden. Um diese Maßnahmen zu planen, müssen zum Beispiel Betreiber von öffentlichen Ladestationen oder von Ladestationen im kommunalen Bereich ab einer Leistung von 12 kW deren Einrichtung vorab bei ihrem Netzbetreiber anfragen. Das Gleiche gilt für Betreiber privat gewerblicher Ladestationen, wie zum Beispiel Ladeparks für Fahrzeugflotten in Unternehmen. Bei diesen Ladestationen weiß der Netzbetreiber, welche Herausforderungen hier auf ihn zukommen und kann die Netze entsprechend ausbauen.

Private Ladepunkte boomen, machen die Planung aber schwieriger

Etwas komplizierter ist es dagegen im privaten Wohnbereich. Diese Ladepunkte sind bis zu einer Leistung 12 kW nicht genehmigungspflichtig – sie müssen zwar gemeldet werden, können aber sofort in Betrieb gehen. Gerade hier gab es seit dem Beschluss der Förderung durch die KfW-Bankengruppe von 900 Euro pro Ladepunkt einen Boom. Laut Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) gingen allein bis Ende April 2021 über 375.000 Förderanträge für fast 460.000 Ladepunkte ein. Prognosen gehen bis 2030 von bis zu 8,7 Millionen Ladestellen am Wohnort aus.

Ein flexibles Lademanagement optimiert die Netze

 Im privaten Wohnbereich können Netzbetreiber im Gegensatz zu den öffentlichen gewerblichen und kommunalen Ladestationen nicht wirklich planen und es könnte zeitweilig zu Überlastungen des Stromnetzes kommen. Das wollen  Netzbetreiber verhindern, indem sie die Netzauslastung kontinuierlich beobachten und die Netze intelligent optimieren. Zum Beispiel mit einem flexiblen Lademanagement: Statt 11 kW fließen dann zum Beispiel nur 5,5 kW durchs Netz. Im privaten Haushalt ist das nicht spürbar, aber zum Laden eines E-Autos kann diese Drosselung zusätzliche Geduld erfordern. „Alle unsere Feldtests zeigen, dass auch bei einer zeitweisen Begrenzung der Ladeleistung zu den Hochlastzeiten in den frühen Abendstunden um beispielsweise 50 Prozent das E-Auto am nächsten Morgen vollständig geladen ist“, sagt Markus Wunsch. Das zeigt auch ein Modellprojekt.

Das Stromnetz bleibt auch in Spitzenzeiten stabil

Was passiert, wenn viele Bewohner in einem Mehrfamilienhaus gleichzeitig ihre E-Autos laden? Das hat der Netzbetreiber Netze BW in einem Modellprojekt in Tamm bei Stuttgart untersucht. 58 der 85 Stellplätze wurden mit Ladeboxen ausgerüstet und 48 Haushalten jeweils ein E-Auto zur Verfügung gestellt. 16 Monate lang wurde untersucht, wie das Stromnetz auf die intensivere Belastung reagiert.

Ein Modellversuch stimmt optimistisch

Das Fazit ist insgesamt positiv: Zwar kam es, wie erwartet, zwischen 18 und 21 Uhr zu Ladespitzen. Und ohne Lademanagement wäre zu dieser Zeit zumindest zeitweise auch das Stromnetz überlastet gewesen. Mit Lademanagement allerdings verlief auch zu diesen Spitzenzeiten das gemeinsame Laden problemlos. Und noch wichtiger: 93 Prozent der E-Auto-Nutzer fühlten sich durch dieses Lademanagement nicht eingeschränkt. Zwar dauerte das Laden insgesamt etwas länger, weil aber die meisten Autos über Nacht geladen wurden, bemerkten die Nutzer keinen Unterschied.

Je früher Netzbetreiber auch im privaten Wohnbereich und insbesondere bei Mehrfamilienhäusern in die Planung zum Ausbau von Ladestellen mit einbezogen werden, desto besser kann die Mobilitätswende gelingen.