26.01.2024

Unfallflucht – Dramatische Realität

Die Zahl derjenigen, die vom Unfallort flüchten, steigt jährlich. Die Dunkelziffer ist noch erschreckender.  Nicht jeder Fall wird angezeigt. Wie ist die Rechtslage und was ist mit den Schäden am Fahrzeug, kommt jemand dafür auf? Wir bringen Licht ins Dunkel.

Deutlich über eine halbe Million Fahrerinnen und Fahrer sind 2022 vom Unfallort geflohen. Der Trend zeigt noch oben. Tatsächlich liegen die dramatischen Zahlen noch viel höher. Denn nicht jede Tat wird angezeigt. Die offizielle Statistik weist hingegen deutlich weniger Fälle aus. Damit bleibt die klägliche Verkehrsmoral vieler Täterinnen und Täter im Dunklen. Ein kleiner Skandal.

Die Zahl der Unfallfluchten steigen stärker als die Unfallzahlen

544.646 Unfallbeteiligte sind 2022 vom Unfallort geflohen. Dies zeigt eine Auswertung der Daten der Polizeibehörden der 16 Bundesländer (siehe Tabelle). Während die Unfälle 2022 bundesweit gegenüber dem Vorjahr um knapp vier Prozent stiegen, nahmen die Unfallfluchten um 7,2 Prozent zu. Der Trend zeigt somit deutlich nach oben. Erfasst werden in den Ländern alle bei der Polizei angezeigten Fälle. Daher dürfte es noch eine große Dunkelziffer geben. Denn wer etwa keine Vollkaskoversicherung hat, braucht den Schaden nicht anzuzeigen.

Die offizielle Statistik täuscht

Demgegenüber weist die offizielle Statistik für 2022 bundesweit lediglich 40.659 Unfallfluchten aus, wie eine Abfrage beim Statistischen Bundesamt ergab. Grund: Die Statistiker zählen nur die Fluchten, bei denen ein Mensch verletzt oder getötet wurde oder es zu einem sogenannten schwerwiegenden Unfall mit Sachschaden kam.

Als schwerwiegend gelten Unfälle, bei denen als Unfallursache eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr vorliegt, und bei denen gleichzeitig ein Kraftfahrzeug aufgrund eines Unfallschadens von der Unfallstelle abgeschleppt werden muss, weil es nicht mehr fahrbereit ist. Auch wenn der Unfallflüchter erwischt wird und unter Einfluss berauschender Mittel stand, wird der Unfall mitgezählt. Daher fallen rund 93 Prozent aller Unfallfluchten durch das Statistikraster – auch wenn der Schaden mehrere Tausend Euro beträgt.

Die Aufklärungsquoten sind noch

Tatsächlich fliehen rund 23 Prozent der am Unfall beteiligten Täter und begehen damit eine Straftat. Dabei gibt es auch bei typischen Parkremplern durchaus ein Entdeckungsrisiko. So weist etwa das Land Baden-Württemberg für 2022 eine Aufklärungsquote von 36,1 Prozent aus. Fluchten mit Sachschäden wurden zu 35,5 Prozent aufgeklärt, während bei Personenschäden die Quote auf 50,1 Prozent hochschnellt. Die höchsten Gesamtquoten erzielte die Polizei mit 43,1 Prozent in Rheinland-Pfalz, 42,5 Prozent in Sachsen-Anhalt und 42,0 Prozent in Niedersachsen. In Bremen wurden 2022 hingegen fast 77 Prozent der Täter nicht erwischt; in Sachsen waren es über 66 Prozent. Einige Länder wie Brandenburg, Berlin und Schleswig-Holstein weisen keine Aufklärungsquoten aus.

Die Ursachen für Unfallflucht sind vielfältig

Warum so viele Täter fliehen ist unklar. Angst vor finanziellen Konsequenzen dürfte neben Schock eine wesentliche Ursache sein. Schon ein kleiner Blechschaden beläuft sich heute schnell auf 2.000 Euro. Wer den Schaden seiner Kfz-Haftpflichtversicherung meldet, verliert einen Teil seines Schadenfreiheitsrabatts.

Hunderttausende von Opfern bleiben jedes Jahr somit in Deutschland auf ihrem Schaden sitzen oder müssen – falls vorhanden – ihre Vollkaskoversicherung einschalten. Damit haben sie ebenfalls einen deutlichen wirtschaftlichen Schaden. Denn in der Regel gilt eine Selbstbeteiligung von 300 Euro, die Betroffenen verlieren einen Teil ihres Schadenfreiheitsrabatts und müssen künftig mehr für ihre Versicherung zahlen.

„Ob Kraftfahrerinnen und Kraftfahrer Fahrerflucht begehen könnten, weil sie den Verlust von Schadenfreiheitsklassen verhindern wollen, wissen wir nicht“, erläutert auf Anfrage eine Sprecherin des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Eine entsprechende Aufklärungskampagne gibt es – zumindest derzeit – von der Versicherungslobby nicht. Dabei wäre diese angesichts steigender Fluchtzahlen angesagt.

Unfallflucht darf nicht bagatellisiert werden

Geschädigte sollten versuchen den Täter zu ermitteln, rät der GDV. Etwa über die Befragung von Passantinnen und Passanten, die den Unfall womöglich gesehen haben könnten. Möglich wäre es auch, mit einer ständigen Veröffentlichung der hohen Fluchtzahlen ein größeres Bewusstsein bei der Bevölkerung zu schaffen, dass es sich eben nicht um ein Kavaliersdelikt handelt.

Nach Einschätzung des GDV wäre es aber fatal, Unfallflucht in Fällen von bloßen Sachschäden nur noch als Ordnungswidrigkeit einzustufen, wie es das Bundesjustizministerium 2023 vorgeschlagen hat.

Bei einer Neuregelung müsse der Verkehrsopferschutz gewährleistet bleiben, betont der GDV. Er befürchtet wohl, dass dann künftig noch mehr Menschen auf ihren Schäden sitzen bleiben. Nach Einschätzung von ACE-Vertrauensfachanwältin für Verkehrs- und Strafrecht Yasmin Domé. „wird es eine Gesetzesreform in naher Zukunft nicht geben“. Auch ACE-Vertrauensanwalt Ulrich Loske bestätigt, dass bisher „ein Gesetzesentwurf zur Entkriminalisierung der Unfallflucht“ nicht vorliegt.

Die aktuelle Rechtslage

„Die aktuelle Vorschrift des § 142 StGB - unerlaubtes Entfernen vom Unfallort - unterscheidet sanktionsmäßig nicht, ob bei einem Verkehrsunfall ein Sach- oder ein Personenschaden verursacht, wurde“, erläutert Loske. „Unfallflucht wird einheitlich mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.“

Richtiges Verhalten nach einem Unfall

Richtig verhält sich, wer die Unfallstelle mit einem Warndreieck sichert und dann eine angemessene Zeit wartet, um „Personen zu finden, die bereit sind, die Daten zusammen mit dem Unfallbeteiligten aufzunehmen“, erläutert die ACE-Vertrauensfachanwältin für Verkehrsrecht, Sandra Nauck.

Mit einem Zettel an der Windschutzscheibe des geschädigten Fahrzeuges würde man der Strafbarkeit nicht entgehen. Das gilt auch für die mögliche Nachmeldung innerhalb von 24 Stunden bei reinen Parkplatzunfällen außerhalb des fließenden Verkehrs, falls bereits Ermittlungen eingeleitet wurden.

Die angemessene Wartezeit hängt von Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von der Schwere des Unfalls, der Tageszeit oder den Witterungsverhältnissen. Nauck: „In der Regel ist eine Wartezeit von mindestens 30 Minuten zu empfehlen, da der Unfallverursacher die Schadenshöhe meistens nicht reell einschätzen kann. Dann aber sollte unverzüglich die Polizei verständigt werden.“

Bei schweren Fällen drohen Fahrverbote und Führerscheinentzug

Neben der Geldstrafe riskieren Unfallflüchter auch den Führerschein. Expertin Domé: „Häufig werden Fahrverbote von ein bis sechs Monaten verhängt. Bei Sachschäden in Höhe von etwa 2.000 Euro oder Personenschäden, droht sogar die Entziehung der Fahrerlaubnis.“ 

Angesichts dieser schweren Konsequenzen sollten Fahrerinnen und Fahrer bei einem Crash innehalten und sich ihrem Fehler stellen. Das wäre auch fair, denn morgen könnten sie selbst Opfer sein.

Bei Personenschäden tritt die Verkehrsopferhilfe ein

Opfer einer Unfallflucht, die so schwer verletzt werden, dass sie künftig Invalidinnen oder Invaliden sind, erhalten vom Verein Verkehrsopferhilfe (Tel. 030 20205858) ein Schmerzensgeld. Sachschäden werden ebenfalls nur erstattet, wenn es gleichzeitig zu einem „beträchtlichen Personenschaden“ kommt. Hier fällt zudem immer eine Selbstbeteiligung von 500 Euro an. Reine Blechschäden nach Unfallflucht erstattet die Verkehrsopferhilfe nicht, da jeder sein Fahrzeug „mit zumutbaren Beitragssätzen“ über eine Vollkaskoversicherung schützen könne.