Wen nervt es nicht? Staus, stockender Verkehr - die alltägliche überlastete Verkehrslage in Städten. Sie gehört inzwischen vielerorts fest zum Alltag, ist unerwünschte Begleiterin beim Pendeln zur Arbeit, in die Kita, zum Shoppen in die City oder auf dem Weg zum Event am Abend.
Die Infrastruktur ist überlastet und veraltet
Im Prinzip scheint es augenscheinlich zwei Ursachen dafür zu geben. Zum einen ist die vorhandene Verkehrsinfrastruktur vielerorts dem aktuellen Verkehrsaufkommen nicht mehr gewachsen – der Individualverkehr nimmt stetig zu.
Andererseits ist die Verkehrsinfrastruktur selbst auch oft in die Jahre gekommen und zwingend sanierungsbedürftig: etwa marode Straßen, Wege und Brücken – die in großen Teilen eingestürzte Dresdner Carola-Brücke ist das beste Beispiel dafür, was passieren kann, wenn an der falschen Stelle eingespart wird. Dresden war ein „Hallo-Wach-Effekt“, der auf erschreckende Weise vielen wieder in Erinnerung gerufen hat, wie es in der kommunalen Verkehrsinfrastruktur aussieht, auch wenn sich dort inzwischen vieles regt und bewegt. In Summe wurde aber noch mehr versäumt.
Ein Blick in die Statistiken verrät, zwei Drittel der Straßen im Land liegen in der Verantwortlichkeit der Kommunen: „Es gibt 714.000 kommunale Straßen und dazu Zustandsbemessungen. Ein Großteil der Straßen ist veraltet. Entsprechend ist der Sanierungsstau“, bringt es Jan Strehmann auf den Punkt. Strehmann ist Referatsleiter für Mobilität beim Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB) und beschäftigt sich unter anderem mit der Verkehrspolitik. Die Verkehrsinfrastruktur ist ein Teil davon.
Verantwortung liegt bei den Kommunen
Beim DStGB weiß man aber auch, dass viel getan wird und die Situation von Kommune zu Kommune sehr unterschiedlich sein kann: „Das hängt immer davon ab, wie die Verkehrsinfrastruktur ausgerichtet ist, wie sie ausgestattet ist und wie ihr Zustand ist“, erklärt Jan Strehmann.
Das hängt natürlich auch viel mit der Handlungsfähigkeit der Kommune selbst zusammen. Der Experte erläutert: „Wenn Sie eine Kommune haben, die finanziell kaum noch handlungsfähig ist, dann kann auch in die Verkehrsinfrastruktur nicht mehr im notwendigen Maße investiert werden. Wenn Sie eine Kommune haben mit sehr hohen Gewerbesteuereinnahmen und vielleicht einer besseren Situation, dann ist es sicherlich auch auf den Straßen sichtbar.“
Für Sanierungen fehlt häufig das Geld
Insgesamt gibt es schon eine klare Tendenz, dass der Investitions- und Sanierungsbedarf wächst. Und das betrifft auch ganz massiv die Brücken: „Die Kommunen haben 60.000 Brücken, die Hälfte davon ist in keinem guten Zustand“, weiß der DStGB-Experte.
Schuld daran ist aber nicht etwa ein mangelnder Wille der Städte, sondern es fehlen ganz offensichtlich die Gelder, gezielte und umfassend Sanierungen im großen Stil voranzutreiben. Und das, obwohl eigentlich direkte Förderinstrumente für Verkehrsinfrastrukturen durch den Bund gegeben sind: insbesondere zählt hierzu das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Dies ist bisher mit einem Etat von einer Milliarde Euro ausgestattet, der ab 2025 auf zwei Milliarden Euro aufgestockt wird. Dazu gibt es Förderprogramme von Ländern, die kommunale Brücken unterstützen.
Förderprogramme reichen oft nicht aus
Doch offensichtlich ist das alles nicht genug. Jan Strehmann erklärt die Brisanz der aktuellen Lage: „Wir haben ein bisheriges Defizit bei den Kommunen von 6,2 Milliarden Euro, Ende 2024 sind es dann circa 13 Milliarden.“ Die Kommunen schaffen es nicht mehr von alleine, diese Entwicklung zu stoppen. Der DStGB-Mann betont: „Das ist auch der Grund, warum wir Forderungen an den Bund stellen (Anm. d. Red.: „Investitionsoffensive Infrastruktur“).
Doch warum reichen die unterstützenden Gelder bisheriger Förderprogramme und Gesetze nicht aus? Eine Frage, die wohl niemand eindeutig beantworten kann. Zu komplex sind die Zusammenhänge. Zu schnell verändern sich und wachsen auch die Erwartungen an die Mobilität. Von all denjenigen, die im Alltag beruflich und privat unterwegs sind, aber auch von den Kommunen und der Wirtschaft.
Mobilität hat sich verändert
Was definitiv klar ist: Mobilität hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Die sogenannte Verkehrswende ist in den Köpfen vieler angekommen: der Umstieg vom Auto auf alternative Verkehrsmittel, dort wo es sich anbietet, auch um die Innenstädte zu entlasten.
Aber insgesamt gesehen hat die Verkehrswende in vielen Städten gar nicht mehr die Vorfahrt, denn es geht erst einmal darum, die grundlegende Funktionalität der Verkehrsinfrastruktur sicherzustellen. Der Grund ist, dass es von allen Fortbewegungsmitteln inzwischen deutlich mehr gibt: Autos, Fahrräder, Pedelecs und Fahrzeuge der Mikromobilität wie E-Scooter sowie eine intensivere Nutzung von Miet- und Sharingangeboten.
Die Verkehrswende verliert teilweise an Bedeutung
Die Verkehrswende wäre aber notwendig, um die Verkehre, vor allem in den größeren Städten, zu entschlacken und die Verkehrsflüsse zu verbessern. Gerade in Metropolregionen wären Menschen dort bei entsprechend ausgebauter Verkehrsinfrastruktur sicher, schneller und stressfreier unterwegs. Und sie hätten die Wahl, auf verschiedene Arten ans Ziel zu kommen.
Aber auch hier hakt es an vielen Schnittstellen der Infrastruktur. Zudem ist das Auto im Großen und Ganzen wieder beliebter geworden. Die Zulassungszahlen steigen kontinuierlich, trotz Krisen und Diskussionen zwischen Elektromobilität und Verbrenner. Auch hier ist die Verkehrsinfrastruktur schon vielerorts längst an ihre Grenzen gekommen. Das zeigt nicht nur ein Blick auf die Stauhauptstädte Hamburg, Berlin, München oder Stuttgart.
Ohne Baustellen keine Verbesserung
Es wird viel getan. Aber vielerorts sorgen die Baustellen für ärgerliche Gesichter der Autofahrenden, die dann nicht vorankommen, weil Fahrspuren gesperrt sind und alles kriecht und stockt. Doch das scheint nur in der öffentlichen Wahrnehmung ein größeres Problem zu sein.
Der DStGB sieht das weniger kritisch. „Baustellen sind unvermeidbar und zeigen ja gerade, dass an der Infrastruktur gearbeitet wird. Daher denke ich, dass durchaus eine Akzeptanz dafür besteht.“ Denn die Baustellen sind irgendwann zu Ende, der Straßenabschnitt besser befahrbar.
Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen beschleunigt werden
Ein größere Problem scheint es vor allem bei Neubauvorhaben in der Verkehrsinfrastruktur zu geben. Denn hier könnten aus Bauvorhaben kleine Odysseen werden, bis sie in Gang gebracht werden. Schuld daran sind die teils langwierigen Planungs- und Genehmigungsverfahren. Obwohl es Gesetze gibt, die das alles beschleunigen sollen, kann es am Ende der Planung zu viele Vorgaben geben, die alles wieder verzögern.
Dabei gibt es durchaus viele interessante Ansätze und Überlegungen zur Vernetzung der Mobilität. Zum Beispiel, wenn Bahnhöfe attraktiver werden und eine Verbindung zur Stadt herstellen sollen. Die Stadt dann dazu einen einladenden Vorplatz bauen will und der ÖPNV vielleicht noch mit einem Shuttle-Service ausgestattet werden soll, damit Reisende und Pendler Lust auf den Umstieg oder auch auf einen Besuch der City bekommen. Dann greifen aber unter Umständen verschiedene Fördertöpfe.
Ein Projekt – viele Zuständigkeiten
Problematisch kann es auch in Metropolregionen werden, wenn sich unterschiedlich große Städte besser vernetzen wollen. Etwa beim ÖPNV. Dabei stellt gerade der Ausbau der Schienenwege die Kommunen vor neue Herausforderungen die gemeinsam gelöst werden müssen. Etwa dann, wenn es um eine gemeinsame Bahnstrecke geht oder um eine Taktverdichtung. So etwas kann dann schnell die eigenen Finanzmittel übersteigen. Der DStGB-Experte Strehmann erläutert: „Die Schwierigkeit ist auch, dass wir dann mehrere Zuständigkeiten haben. Nehmen wir eine neue ÖPNV-Verbindung zwischen einer Großstadt und dem Umland. Es bedarf dann gegebenenfalls mehrerer Kommunen, die in der Lage sein müssen, Mittel bereitzustellen.“
Was führt aus der Misere?
Es gibt natürlich Überlegungen, ob man andere Nutzer in die Finanzierung mit einbezieht, wie das teilweise im Ausland der Fall ist. Dort gibt es Beispiele, dass Unternehmen eine spezielle Steuer nur für den ÖPNV-Ausbau zahlen. So etwas existiert hierzulande nicht. Damit würde sicher nicht ein Großteil der Kosten abgedeckt werden und es wäre sicher ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber zumindest wäre es ein Anfang und ein Signal, dass auch der Wirtschaft das Thema ernst sein muss, denn zur Standortwahl von Unternehmen gehört letztendlich auch eine gute Verkehrsinfrastruktur.
Aber die Realität wird auch aufgrund der klar geregelten Zuständigkeiten bei uns wahrscheinlich anders aussehen, Experte Jan Strehman ist ernüchtert: „Die Basis wird vom Staat kommen und da haben wir einfach die Situation, dass die Kommunen im Vergleich zu Bund und Ländern zunehmend Aufgaben bekommen, aber auf der anderen Seite zu geringe Anteile an den Steuereinnahmen haben.“
Eine verbesserte Verkehrsinfrastruktur wirkt sich auf viele Bereiche aus
Eine Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) hat den Investitionsbedarf für das Erhalten und die Erweiterung von Schienennetzen und Straßen in der ganzen Verkehrsinfrastruktur bis hin zum ÖPNV untersucht. Bis zum Jahr 2030 werden 372 Milliarden Euro benötigt – Investitionen für die Verkehrswende mit eingeschlossen. Mit 238 Milliarden Euro fällt davon ein Löwenanteil auf den Verbesserungsbedarf der kommunalen Straßenverkehrsinfrastruktur.
Die Forderung nach einer groß angelegten Finanzierungsoffensive in Sachen Verkehrsinfrastruktur scheint daher berechtigt, denn es geht um sehr viel: Sicherheit im Straßenverkehr, kürzere Unterwegs-Zeiten, um mehr Zeit für Wichtiges zu haben, saubere Innenstädte, Stärkung der Wirtschaftsstandorte und die Basis für eine fortschrittliche Gesellschaft, die Mobilität vielschichtig und individuell interpretiert.
Die Position des ACE
Der ACE setzt sich für eine zeitnahe und zügige Sanierung ein. Generell ist uns als ACE der Erhalt und Umbau einer Straße deutlich wichtiger als Straßenneubauten. Der ACE sieht Handlungsbedarf beim qualitativen Erhalt des kommunalen Straßennetzes. Insgesamt geht es darum, die Leistungsfähigkeit aller drei Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasserstraße zu steigern, sie besser zu vernetzen und somit effizient und umweltverträglich zu gestalten. Bund, Länder und Kommunen sind bei Investition und Erhalt der Infrastrukturen gemeinsam in der Verantwortung.
Zu den politischen Positionen des ACE
Wie lässt sich städtische Verkehrsinfrastruktur zukunftsgerecht gestalten?
Über diese Frage haben wir mit Burkhard Horn, Verkehrsplaner und bundesweit tätiger Berater an der Schnittstelle Verkehrspolitik, Verkehrsplanung und Stadtentwicklung, gesprochen.
Warum ist es so schwierig, eine Verkehrsinfrastruktur neu zu gestalten?
Ein gewachsenes System komplett umzubauen ist eine Herkulesaufgabe, die mit Ressourcen zu tun hat, mit personellen für Planen und Bauen, aber natürlich auch finanziellen. Dazu kommt, dass ein Verkehrsnetz zukunftsfähig zu machen, immer auch in bestehende vermeintliche Rechte und Gewohnheiten eingreift: Es hat Auswirkungen auf das Verkehrsverhalten der Menschen, das ist ein schwieriges Thema. Dabei gibt es objektive Notwendigkeiten, etwas zu ändern. Sei es unter dem Aspekt von Klimazielen, Umweltzielen, Verkehrssicherheit oder Gesundheit. Da ist ein Zusammenspiel vieler Dinge notwendig: eine Stadtgesellschaft, die bereit ist, diesen Wandel mitzugehen, eine Verwaltungsleitung, die dahintersteht, und kommunale Politiker und Politikerinnen, die einen langfristigen Gestaltungsprozess entsprechend unterstützen und voranbringen.
Spielt der Klimawandel eine große Rolle bei der Neugestaltung?
Der Klimawandel ist nicht mehr zu verhindern, der findet statt. Es geht um Eindämmung seiner Folgen. Die Infrastruktur muss sich darauf einstellen: Wir brauchen mehr klimabasierend gestaltete Räume, mehr Begrünung, mehr Beschattung. Das hat natürlich Auswirkungen darauf, wie viel Fläche überhaupt für Mobilität zur Verfügung steht und wie man die aufteilt.
Gibt es genug Verkehrsplanerinnen und Verkehrsplaner für die Modernisierung?
Es fehlt momentan an allen Ecken und Enden an Personal. Dies gilt auch für die Ingenieursberufe, die sich mit Verkehrsplanung und Verkehrsbau beschäftigen. Das Problem lässt sich auch nicht von heute auf morgen lösen. Da ist zu wenig ausgebildet worden oder auch zu wenig Interesse seitens jüngerer Menschen vorhanden.