Wer Erfolg haben will, muss das Gleiche besser machen. Oder bewusst anders. Eine Kopie des allseits beliebten Golf TDI zu bauen – und das auch noch besser – ist vermutlich ein aussichtsloses Unterfangen. Insofern kann man gut verstehen, dass Renault mit der vierten Generation des Kompaktmodells Mégane bewusst einen eigenen Weg einschlägt.
Der Renault Mègane hat an Länge gewonnen und ein eigenständiges Aussehen
Das fängt schon bei Äußerlichkeiten an. Auf Experimente hat Renault zwar verzichtet. Und das ist auch gut so, denn gerade in der Kompaktklasse lässt das übliche Format mit steilem Heck auch nicht so viele Möglichkeiten. Zumindest nicht, ohne die Praxistauglichkeit spürbar einzuschränken. Dennoch sieht der Mégane eigenständig aus, wobei er der neuen, sehr selbstbewussten Renault-Design-Linie folgt. Ein größeres Markenlogo haben wir jedenfalls noch bei keinem anderen Auto gesehen.
Die technischen Daten verraten ein Längenwachstum gegenüber dem Vorgänger um rund sechs Zentimeter, der Radstand ist um drei Zentimeter gewachsen. In der Höhe fehlen nun drei Zentimeter. Alles nicht die Welt, doch sorgen die leicht veränderten Proportionen für ein stimmiges Gesamtbild und durchaus anständige Platzverhältnisse. Die große Show sitzt am Heck: Die Lichtgrafik bei Nacht ist deutlich aufregender als die konventionelle Rückansicht des VW Golf.
Dieser lässt sich aber ebenfalls aufrüsten: Dunkelrote LED-Rück- und weiß-bläulich strahlende Kennzeichenleuchten für 245 Euro, Nebelscheinwerfer mit Abbiegelichtfunktion für 190 Euro, dazu ein Ambientelicht für 185 Euro und schon erscheint der Golf in einem neuen Licht, fast so opulent wie der Renault Mégane in der zweiten von sechs Ausstattungsstufen. Ab "Intense" ist das beim Renault nämlich schon alles serienmäßig drin.
An der Front verfügt der Testwagen aus dem Hause VW über das "Active Lighting System", das Bi-Xenon-Scheinwerfer, eine dynamische Fernlichtautomatik, Kurvenlicht und Regensensor enthält. Das Licht ist mit diesem Paket vorzüglich und eine Empfehlung wert, wenn es doch mit 1915 Euro nur nicht so teuer wäre.
Einen Licht- und Regensensor und eine Fernlichtautomatik hat der Mégane Intense auch schon an Bord. Wer aufrüsten möchte, kann ein Kreuzchen bei den Voll-LED-Scheinwerfern setzen und bekommt dann im "Night-Paket" auch noch ein Head-up-Display mitgeliefert. Kostenpunkt für die Sehhilfe: 1190 Euro.
Der Golf lässt sich vieles "extra" kosten
So geht es beim Vergleich der Aufpreisliste munter weiter: Eine Klimaautomatik? Hat der Mégane Intense serienmäßig, bei Golf Comfortline kostet sie 390 Euro Aufpreis. Vier Türen? Den Mégane gibt es nur so, bei VW müssen zum Grundpreis 900 Euro hinzugerechnet werden. Ein digitaler Radioempfang ist bei Renault selbstverständlich, bei VW darf man dafür 240 Euro überweisen. Die einfachste Navigation im Golf kostet 555 Euro, setzt jedoch das Radio Composition Media für 530 Euro voraus. Macht noch einmal 1085 Euro bitte. Das Navipaket bei Renault kostet 390 Euro, wer unbedingt den großen, vertikal angeordneten Achtzoll-Bildschirm möchte, muss 300 Euro zuschießen, ist dann aber komplett gerüstet.
Blättern wir noch einmal zurück zur Seite eins der 16-seitigen Renault-Preisliste, dann steht dort ein Grundpreis von 23 690 Euro für den Mégane in der Ausführung Intense mit 110 PS starkem Diesel.
In dem 35 Seiten starken Golf-Dokument entdecken wir den VW Golf TDI Blue Motion Technology mit 110 PS und Fünfgang-Schaltgetriebe in Comfortline-Ausstattung für 24.200 Euro. Rechnet man nur die oben genannten Punkte hinzu, beträgt der neue, vergleichbare Grundpreis bereits 27.435 Euro – inklusive Navigation, aber noch ohne die Hightech-Frontscheinwerfer. Das sind 3355 Euro Unterschied! Nun kann man dieses Spielchen mit Ausstattungsdetails und -linien endlos weitertreiben, das Ergebnis bleibt aber im Grunde das Gleiche: Der Golf ist und bleibt zehn bis 15 Prozent teurer als der französische Herausforderer.
Im Unterhalt punktet der Volkswagen
Doch ist das Wolfsburger Produkt auch besser? Das kommt auf den Blickwinkel an. Einerseits lässt sich ein Golf VII mit seiner langen Aufpreisliste leichter individualisieren. Was man nicht braucht, muss man auch nicht kaufen. Natürlich dürfte auch der Wertverlust beim allzeit gefragten Golf in Prozenten ausgedrückt etwas niedriger liegen als beim weniger gefragten Renault Mégane. Weitere wirtschaftliche Pluspunkte sammelt der Golf beim Unterhalt. Die Versicherungseinstufung ist deutlich niedriger als beim Neueinsteiger von Renault, wobei sich die Haftpflichteinstufung im Laufe der Zeit angleichen dürfte. Es gibt ja keinen realen Grund dafür, warum Renault-Besitzer mehr Schäden verursachen sollten als Golf-TDI-Lenker.
Fahrverhalten des Mégane vorbildlich
Am Fahrverhalten kann es jedenfalls nicht liegen, denn obwohl der Mégane durchaus Richtung Komfort getrimmt wurde, nimmt er Kurven jeder Art absolut sicher und unauffällig. Wer mit zu viel Elan am Werk ist, wird sanft und sicher von der Elektronik eingebremst. Quietschende Reifen gibt es beim Mégane praktisch nicht.
Im Topmodell GT ist eine Allradlenkung erhältlich, die einerseits die Wendigkeit bei niedrigen Geschwindigkeiten verbessert, andererseits bei hohem Tempo durch Mitlenken in die gleiche Richtung dem Fahrverhalten die Nervosität nimmt. Den etwas kleineren Wendekreis wünscht man sich auch im normalen Mégane, der Rest ist im Grunde nicht nötig.
Cockpit individuell gestalten
Doch damit nicht genug: Das Cockpit kann in verschiedenen Farben und in unterschiedlicher Optik konfiguriert werden. In einem "Multi-Sense" genannten Menüpunkt auf dem Bildschirm können verschiedene Sinneseindrücke dem persönlichen Geschmack angepasst werden, zum Beispiel wie leichtgängig die Lenkung sein soll, oder wie bissig der Motor am Gas hängt. Auf Tastendruck wird sogar über die Lautsprecher ein sportliches Knurren eingespielt. Eine lustige Spielerei, falls einem langweilig werden sollte. Der Motor verrichtet sein Werk ansonsten nämlich sehr kultiviert und unauffällig.
Motorisierung und Verbrauch
Zum Test angetreten ist die Variante mit vollautomatischem Getriebe, das bei Renault EDC, bei VW aber DSG heißt. Das auch manuell schaltbare Automatikgetriebe bedeutet im Falle des Mégane 1700 Euro Aufpreis und auf dem Papier einen Mehrverbrauch von 0,2 Liter. Schwerer wiegt, im Wortsinne, das Mehrgewicht von 100 Kilo, das zum Teil aber auch ausstattungsbedingt ist. EDC gibt es nur in Verbindung mit "Intense", während der handgeschaltete Diesel auch in den unteren Niveaus zu haben ist. Dann schon ab 21.190 Euro. Trotzdem muss sich der französische Selbstzünder weder in Leistung noch Verbrauch vor dem Diesel-Urgestein TDI verstecken, der zum Test mit manuellem Fünfgang-Getriebe antrat. Zwar gehen beim Sprint auf Tempo 100 fast zwei Sekunden verloren, da die Automatik nicht so herb einkuppeln kann wie ein Mensch bei der Ausführung mit Kupplungspedal. Auf einer Vergleichsfahrt mit exakt dem gleichen Fahrprofil liefen 0,1 Liter mehr Diesel durch die vier Brennräume des Franzosen als bei der verbrauchsoptimierten BlueMotion-Variante des Golf.
Der TDI läuft auch in seiner neuesten Ausbaustufe, die zuverlässig die Euro-6-Norm erfüllt, ein wenig rau. Aus Gewichtsgründen hat VW auf eine übertriebene Dämmung verzichtet, wobei der Golf nach Werksangaben trotzdem noch schwerer ist als der Renault Mégane.
Fahrwerksregelung und Komfortsitz überzeugen beim Golf
In Sachen Fahrkomfort profitiert der Test-Golf natürlich von der adaptiven Fahrwerksregelung DCC (1035 Euro) und dem 14-Wege-Komfortsitz (655 Euro), der perfekte Unterstützung in allen wichtigen Bereichen bietet. Dank weiter Verstellbereiche von Sitz und Lenkrad findet jeder die optimale Position, die Härte des Fahrwerks lässt sich mit einem einfachen Tastendruck der Straße oder den persönlichen Vorlieben anpassen. Dass der Golf mit 110 PS hinten, im Gegensatz zu den stärkeren Modellen mit Einzelradaufhängung, nur eine vergleichsweise einfache Verbundlenkerachse unter der Karosserie trägt, macht im Alltag keinen Unterschied. Mit den 17-Zoll-Rädern und der Bereifung im Format 225/45 R 17 (645 Euro bei VW, 490 Euro bei Renault) liegt der Golf sicher und satt auf der Straße, ohne über Gullideckel zu poltern und zu stolpern.
Mit beiden Autos lassen sich auch große Distanzen zügig und entspannt zurücklegen, wenn es sein muss auch mit vier Erwachsenen an Bord. Selbst wenn es die Messwerte nicht unbedingt hergeben: Der Fond im Golf erscheint luftiger, was hauptsächlich an den größeren Fensterflächen liegt. Gleiches gilt für den Kofferraum: Beide sind praktisch gleich groß, der des Golf aber einfacher zu beladen. Einfach aufgrund der niedrigeren Ladekante. Beim direkten Umstieg wirkt die französische Interpretation dann doch etwas frischer und gleichzeitig heimeliger. Ein letzter Blick in die Preisliste zeigt dann auch, welche Prioritäten die Franzosen bei ihrem Neuling gesetzt haben: "Innenraumharmonie und Dekorelemente" heißt es hier bei der Wahl von Zierleisten und Dachhimmel. VW nennt diesen Abschnitt eher technokratisch "Ausstattungs- und Designpakete". Was eigentlich schon fast alles über den Unterschied zwischen diesen beiden Autos sagt.
Fazit
Renault beschreitet neue Wege, ohne die Alltagstauglichkeit zu riskieren. Der Mégane ist ein richtig gutes Auto geworden.
Der Golf ist ein nahezu perfekt zu Ende gedachter Kompaktwagen ohne störende Ecken und Kanten. Das hat seinen Preis.