Lautlos gleitet der Ballon an das Hindernis. Gefährlich nahe! Keine zwei Meter trennen Korb und Felswand, und der Abstand schmilzt. Rund 20 entsetzte Augenpaare verfolgen das Manöver. Nur ein Mensch in der riesigen Gondel wirkt völlig entspannt: Mehmet, der Montgolfiere. Fauchend meldet sich ein Feuerstoß und schickt Warmluft in die Hülle. Lässig steuert der 32-Jährige sein Fluggerät ganz knapp an dem Tuffkegel vorbei. Alle atmen auf. Jetzt heißt es wieder entspannen und genießen. Und zwar großes Kino im Breitwandformat: fantastisch, dieses Märchenland, über das der große Ballon schwebt. "Riesen sind hier stehend begraben, nur ihre Zipfelmützen ragen aus dem Erdboden", scherzt Mehmet.
Ballonfahrt über Göreme
Natürlich sind es Erdpyramiden, die in Kappadokien, im Herzen Anatoliens gelegen, diese unverwechselbare Topografie bescheren. Nirgendwo anders als im Städtchen Göreme bildet diese Formation aus Kegeln und Kaminen so ein bizarres Landschaftsbild. Baumeister Natur modellierte in Millionen Jahren diese Traumstätten. Denn Eruptionen der nahe gelegenen Vulkanberge Erciyes und Hasan schleuderten Aschestaub und Lava aus ihren heißen Schlünden und überzogen die Gegend mit einer bis zu hundert Meter dicken Schicht aus weichem, mineralhaltigem Tuffstein. Wind und Wasser schliffen die bizarren Formen: bis zu 30 Meter hohe Pyramiden und Spitzen. Feenkamine nennen Einheimische die Felssäulen; in manchen Tälern stehen hunderte dieser steinernen Zipfelmützen. Und von keinem Standpunkt aus setzt sich das pittoreske Panorama so beeindruckend in Szene als in rund 1000 Meter Höhe in der Gondel eines Heißluftballons. Das wissen alle Besucher, die nach Kappadokien kommen. Sie investieren rund 150 bis 200 Euro für die große Freiluftattraktion. Und so steigen jeden Morgen bei Tagesanbruch in Göreme, dem touristischen Herz Kappadokiens, gut 50 bis 100 Ballons in die Lüfte.
Die Tuffkegel dienten als Wohnstätten und Gotteshäuser
Aber das Provinzstädtchen Göreme, das etwa 300 Kilometer südöstlich von der türkischen Hauptstadt Ankara entfernt liegt, reizt zum Perspektivwechsel. Denn die Tuffkegel beeindrucken nicht nur von oben, sondern auch von innen. Bis heute nutzen Menschen die ausgehöhlten Kegel als Stallungen und Vorratskammern. Ihre höhlengleichen Wohnstätten haben sie inzwischen aufgegeben und gegen den Komfort moderner Häuser getauscht. Touristen unterdessen können sich in eigens in den Fels geschlagenen Hotels von den klimatischen Vorzügen der Behausungen überzeugen. Im Sommer angenehm kühl, im Winter mollig warm. Und ganz wichtig: gut geschützt.
Das war von Bedeutung, als die ersten Siedler im 4. Jahrhundert in den Höhlen Unterschlupf suchten. Es waren Christen, die auf der Flucht vor römischen Legionären und anderen Angreifern Wohnungen und Gotteshäuser in den weichen Stein meißelten. Rund 3000 Höhlenkirchen sind so entstanden. Im Freilichtmuseum von Göreme, einem einzigartigen Komplex aus Felsformationen, der von der UNESCO im Jahr 1985 zum Weltkulturerbe ernannt wurde, befinden sich mehr als 30 erhaltene Kirchen und Kapellen. Ihre Wandbilder sind beispielhaft für die byzantinische Kunst, etwa die Fresken in der Karanlık Kilise, der dunklen Kirche. Nach jahrelanger Arbeit der Restauratoren leuchten die Farben in fast ursprünglicher Intensität. Szenen aus dem Leben Jesu und der Evangelisten sind etwa tausend Jahre alt.
Kaymakli: Unterirdische Höhlenstädte
Auch unter der Erde wurden Höhlen gegraben, riesige Labyrinthe sind so entstanden. Unterirdische Städte wie Kaymaklı dienten den Bewohnern als Rückzugsgebiet vor Feinden. Die Seidenstraße führte durch diese Region, und mit dem Handelsweg kamen immer wieder gut ausgerüstete, feindliche Agressoren – da half den frühchristlichen Bewohnern nur das gut gesicherte Versteck.
Bis zu acht Stockwerke tief sind diese Unterkünfte ins Erdreich gegraben. In diesen dunklen, schmalen Gängen war keine Schlacht zu gewinnen, das wussten die gegnerischen Heere. Ein ausgeklügeltes System mit Wasserdepots, Toiletten, Vorratsräumen und Waffenlagern half den byzantinischen Bewohnern, auch lange Belagerungen zu überstehen. Bis ins elfte Jahrhundert währte die Herrschaft der öströmischen Christen, die Stadt Caesaria galt als einer der wichtigsten Bischofsitze der östlichen Hemisphäre.
Traditionelle Töpferkunst trifft auf Großstadtflair in Kappadokien
Kayseri nennt sich diese Metropole heute, sie ist das Eingangstor nach Kappadokien, denn die meisten Touristen wählen die rund 90 Flugminuten, um via Istanbul ans Ziel zu gelangen. Der Industriestandort ist Boomtown in Anatolien und innerhalb der vergangenen 40 Jahren atemberaubend schnell gewachsen, die Einwohnerzahl verfünffachte sich auf mittlerweile rund eine Million. Doch Reisende sollten sich vom ersten Eindruck der Stadt nicht blenden lassen. Beim Bummel durch das Zentrum sind, trotz manch hässlicher Bausünden, Spuren der antiken Siedlung und ihrer Geschichte noch immer aufzustöbern. Auch ein Besuch der Nachbarstadt Avanos gehört für einen Kappadokien-Besucher zum guten Ton. Sie liegt am Kızılırmak, dem längsten Fluss der Türkei, der übersetzt roter Fluss heißt. Das Wasser schwemmt haufenweise Tonerde an und beschert dem hübschen Kleinstädtchen deswegen den Ruf einer ausgezeichneten Töpferstadt. Überall rotieren hier Drehscheiben, in der Altstadt wimmelt es von Ateliers, Galerien und Werkstätten.
Und wahren Meistern der Töpferkunst. Ömürlü Bayranoglou ist einer von ihnen. Schon als Achtjähriger modellierte er mit flinken Händen aus dem zähen Lehm Teller, Tassen und Trinkgefäße. So wie es seine Lehrmeister, Vater und Großvater, seit Generationen vor ihm formten. Und dieses Handwerk formt auch die Menschen, die hier leben. Ein tönerner Ring, der als Trinkgefäß mit kunstvoller Malerei verziert wird, ist für den 53-Jährigen beileibe nicht nur ein Souvenir für Touristen. "Aus solchen Krügen tranken schon die Hethiter", betont er, "und auch für uns ist es ein wichtiger Gebrauchsgegenstand."
Touristische Informationen
Anreise: Turkish Airlines fliegt von deutschen Flughäfen mehrmals täglich über Istanbul nach Kayseri. www.turkishairlines.de
Ausflugsziele: Wie lebt es sich unter der Erde? Die Besichtigung der unterirdischen Stadt Kaymaklı gibt darüber Aufschluss. Eine Ballonfahrt über Göreme sollte sich kein Kappadokienurlauber entgehen lassen. www.balloonturca.com
Preisbeispiele: Eine Woche mit Halbpension im Vier-Sterne-Hotel Burcu Kaya in Ortahisar bietet Türkei-Spezialist Öger Tours ab 307 Euro. Eine einwöchige Rundreise Istanbul und Kappadokien mit Halbpension, Ausflügen und Inlandsflug ist ab 999 Euro pro Person im Angebot. www.oeger.de
Infos zur Türkei gibt es beim türkischen Kultur- und Tourismusbüro im Internet unter www.goturkey.com