G’schnappt worden?“ Emil Zangerl schüttelt energisch den Kopf. „Koan oanzges Mal hom’s mi kriagt, die Grasrutscher!“ So nennt der 85-Jährige noch heute die auf Ski nicht gerade wendigen Zöllner, die ihn nach dem Krieg verfolgten, als er Butter, Käse und Fleisch aus dem österreichischen Ischgl über den 2756 Meter hohen Flimsattel ins schweizerische Samnaun schaffte – als Tauschware gegen Kaffee, Zigaretten und Süßstoff. „G’schmuggelt hot fast a jeder in Ischgl“, erinnert sich Zangerl, denn wo heute knapp 12.000 Gästebetten stehen und vielerorts feuchtfröhlicher Après-Ski gefeiert wird, herrschte damals Armut, sodass die Menschen sich „organisieren“ mussten, wonach sie sich sehnten. Sie taten es auf mehreren Bergpfaden.
Einstige Schmugglerpfade locken heute als attraktive Skipisten
Drei davon sind im Skigebiet als Schmuggler-Routen ausgeschildert – unterschiedlich lang, mit blauen bis schwarzen Pisten. Über allen prangt ein Schwarz-Weiß-Foto von Emil Zangerl aus seiner Schmuggler-Zeit – mit Holzski, Strickjacke, Zuckerhut-Mütze und verschmitztem Blick. Zehn Stunden habe eine Schmugglertour hin und zurück gedauert, Start um zwei Uhr nachts, mit 40 Kilo schwerem Rucksack. Für die heute als „Schmugglerrunde Gold“ ausgeschilderte, mit 35,7 Pistenkilometern plus 24 Kilometern Liftstrecke längste Route brauchen gute Skiläufer etwa vier Stunden – netto, also ohne den Duty-free-Stop unten in Samnaun.
Zollfreier Einkauf statt lautem Après-Ski
Ein gemütlicher Ort ohne Ischgls „Hoch-die-Tassen-Theken“. Dafür mit netten Pensionen und Hotels, in denen so manche Holzvertäfelung an Jugendzimmer der seligen Siebzigerjahre erinnert. Ein erstarrtes Ski-Urlaubs-Museum also? Nein, vielmehr ein vitales Dorf mit implantierter Shopping-Meile: Auf 800 Einwohner kommen mehr als 40 Geschäfte. Jede ihrer Fassaden verkündet unübersehbar fett dieselbe Botschaft – mal lockt glitzerndes Airport-Design („Watches and Jewellery tax free“) die Schnäppchenjäger in die Läden, mal verwitterter Butterfahrt-Charme am „Zollfrei-Center Erica“.
Vom armen Schmuggler-Ort zur modernen Ski-Destination
Billiger Zucker oder teure Klunker, Markenbutter oder Markenkleidung, fast alles ist in Samnaun erheblich preiswerter als in Deutschland und Österreich. Und das schon mehr als 100 Jahre. Damals konnten die Samnauner das Lebensnotwendige nur aus dem benachbarten Österreich über einen Ochsenkarrenweg in ihr entlegenes Bergdorf schaffen. Und weil schweizerische Zöllner an der Grenze den armen Bauern oft ihr letztes Geld abknöpften, nervten die Geschröpften ihre Regierung jahrelang mit dem Wunsch nach einer zollfreien Zone. Gewährt im Jahre 1892, ist sie bis heute ein Garant für den sichtbaren Wohlstand der Samnauner: Mit der weltweit ersten Doppeldecker-Bahn schaukeln sie bis zu 180 Skifahrer gleichzeitig in Zwei-Etagen-Gondeln hoch zum Alp-Trida-Sattel. Und wenn zu Saisonbeginn wegen Schneemangels nur 30 statt 230 Pistenkilometer der gemeinsam mit Ischgl betriebenen Silvretta-Ski-Arena befahrbar sind, dann lassen die großzügigen Samnauner alle Urlauber gratis carven, so lange, bis der Schnee kommt. Oder österreichische Zöllner wie Leonard Schweighofer ...
Zollkontrolle mitten auf der Piste
„Wie bitte?“ Der Snowboarder glaubt, er hat sich verhört. „Zollkontrolle, bitte öffnen Sie Ihren Rucksack“, wiederholt der Inspektor ruhig, aber bestimmt. Der Snowboarder tut’s, kramt widerwillig die Innereien seines Rucksacks hervor und scannt irritiert die Umgebung ab: Ist irgendwo eine versteckte Kamera? Die Zöllner zerstreuen solche skeptischen Blicke mit Nachhilfe in Erdkunde: Der Mann erfährt, dass er mit dem Ausstieg aus dem schweizerischen Sessellift nach Österreich eingereist ist und dass – jenseits der EU-Grenze – für bestimmte Dinge Steuern fällig sind.
Gut getarnt entlarven die Zöllner jeden Anfängerfehler
Zusammen mit meist fünf Kollegen fahren die Zöllner Streife im Skigebiet, inzwischen mit guten Chancen – wegen guter Tarnung: In ihrem „Skianzug-Zivil“ sind sie nicht mehr von Urlaubern zu unterscheiden. Bis vor gut 20 Jahren hingegen waren sie oft Verlierer im hochalpinen Schmuggler- und Gendarmspiel, wegen ihrer schmucken, weithin sichtbaren Uniformen. Heute können Hobby-Schieber kaum gewinnen, schon gar nicht mit Anfängerfehlern wie dem mit der Uhrenschachtel: „Wer sich in Samnaun eine Rolex für 13.000 Euro kauft, der möchte die edle Schachtel behalten“, erzählen die Zöllner. Also wird die „Beute“ verteilt: Die Uhr ans Handgelenk, die Schachtel in den Rucksack des Kumpels. „Wenn der erwischt wird, erzählt er, er habe die Schachtel vom Juwelier als Liebhaberstück geschenkt bekommen“, berichten die Kontrolleure und grinsen: „Es sammeln mehr Menschen Uhrenschachteln als Briefmarken ...“
Erfahrung, Instinkt und gute Ausrüstung helfen bei der Arbeit
„Nein, bei Weitem nicht jeder Samnaun-Gast ist ein Schmuggler“, wiegeln die Zöllner ab. Für alle, die was zu verbergen haben, haben die Inspektoren ein geheimnisvolles Gespür: „Wie sie aus dem Lift kommen, mit ausgebeulten Jacken, wie sie sich dabei betont unauffällig benehmen wollen.“ Mehr möchten die Zollbeamten im Hochgebirge nicht verraten. Nur so viel, dass in solchen Fällen ein kurzer Blickkontakt zwischen den Zoll-Kollegen reicht – nichts wie hinterher! Mit ihren kurzen Ski, immer startklar in Fahrtrichtung geparkt, sausen sie die rote Piste Richtung Ischgl hinab und haben – so sagen sie – bisher noch jeden eingeholt. Von wegen Grasrutscher! Heute würden sie wohl auch Schmuggler Emil Zangerl schnappen.
Reise-Info Ischgl und Samnaun
Anreise: Nach Ischglmit der Bahn über München nach Innsbruck, von dort im Regionalzug nach Landeck-Zams. Von hier bieten viele Hotels Taxi- oder Shuttle-Service an. Fahrzeit ca. 30 Minuten. Vom Flughafen Innsbruck dauert es im Mietwagen oder Shuttle ca. 90 Minuten. Samnaun ist per Bahn ebenfalls über Landeck und dann per Shuttle erreichbar, im Auto über die Inntal-Autobahn, Abfahrt Landeck, dann Richtung Pfunds über die Landstraße 27 und über die Bergstraße via Spiss nach Samnaun.
Skigebiet und Attraktionen: Die Silvretta Ski-Arena verbindet die Pisten auf Samnauner Seite mit denen auf der Seite Ischgls und ist sehr schneesicher bis von November bis Anfang Mai dank einer Höhe von bis zu 2864 Meter. Insgesamt 239 Pistenkilometer (davon sind 80 Prozent technisch beschneibar) – von breit und familiär bis steil und herausfordernd – bieten reichlich Fahrspaß für Anfänger, Snowboarder und Rennfahrer. Der Fünf-Tages-Skipass kostet in der preiswertesten Classic-Variante 204,50 € für Erwachsene. Infos zur Schmuggler-Tour gibt es auf der Internetseite des Tourismusverbandes Paznaun-Ischgl.
Unterkunft: In Ischgl liegt das Hotel Alpina etwas abseits der Party-Piste und doch in der Nähe der Ski-Pisten (DZ ab ca. 95 Euro). Preislich ist Samnaun deutlich günstiger als umliegende Skigebiete: Sieben Tage in den sogenannten Silberschneewochen (meist Ende November bis Mitte Dezember, Mitte bis Ende Januar und Mitte April bis Anfang Mai) im Hotel mit Frühstück und Skipass kosten ab etwa 600 Euro. Angebote sind beispielsweise auf der Bergfex-Website zu finden.
Essen und Trinken: Wer gut essen will, sollte ins einzige mit zwei Hauben ausgezeichnete Restaurant Samnauns gehen – das Homann: Zander auf Artischocken-Tomatenragout, Kalbsrücken und Parmaschinken auf Steinpilzen mit Kartoffelturm, Milchrahmauflauf an Vanillesauce mit Himbeeren, das klingt nicht nur, das schmeckt auch hervorragend. In Ischgl ist das Restaurant Stüva mit edlem Hütten-Design und moderner Alpen-Küche eine gute Wahl, ein Vier-Gänge-Menü gibt es ab ca. 80 Euro.
Zollfrei einkaufen in Samnaun: Das geht in mehr als 40 Geschäften der 800-Seelen-Gemeinde, die Homepage von Samnaun hält zahlreiche Informationen bereit. Doch Achtung: Freimengen beachten! So dürfen z. B. bis zu 200 Zigaretten zollfrei aus der Schweiz nach Österreich eingeführt werden, ein Liter Alkoholika mit mehr als 22 Volumenprozenten oder zwei Liter mit weniger als 22 Volumenprozenten.
Weitere Informationen über die Ski-Arena bieten die Internetseiten von Ischgl und Samnaun.